Die 110. Tour de France beginnt. Was erwarten Sie sich?
Ralph Denk: Wir haben im Vorjahr keine Etappe gewonnen und das hat weh getan. Wir wollen aggressiven Radsport bieten und den Tagessieg erringen. Das wäre Ziel eins. Und wir stehen mit dem Vorjahressieger des Giros am Start: Jai Hindley. Er hat Ambitionen auf das Podium. Das haben aber mehrere Teams.

Gino Mäder ist bei der Tour de Suisse in einer Abfahrt kurz vor dem Ziel gestürzt und ums Leben gekommen. Wird genug für die Sicherheit getan?
Man kann mehr tun. Da denke ich zuerst einmal an die Zieleinläufe. Da könnte man bessere Banden aufstellen. Beim Unfall von Jasper Philipsen 2020 bei der Polenrundfahrt hat man das gesehen, als die Bande aufgegangen ist. Das kann man besser machen. Ganze Abfahrten wie im Skisport zu sichern ist sehr kompliziert und meiner Meinung nach nicht machbar. Wenn man hohe Berge rauf fährt, muss man sie auch runter fahren. Das ist ein Stück weit auch Berufsrisiko.

Wo bewegt sich der internationale Radsport Ihrer Meinung aktuell und in Zukunft hin?
Ich glaube schon, dass der Sport eine sehr, sehr große Zukunft hat, weil die Coronapandemie hat den ganzen Radsport schon noch einmal beschleunigt. Es fahren viel mehr Leute Rad als vor Corona. Wir sind sicherlich nicht die Verlierer der Corona-Krise. Es ist ein schöner und toller Sport, den man sowohl live verfolgen kann, aber eben auch selbst ausüben kann. Das unterscheidet uns zum Beispiel von der Formel 1 oder dem Skispringen. Das können wir nur bedingt selbst ausüben (lacht). Von dieser Warte her ist das Produkt Radsport schon sehr, sehr gut. Aber ich bin ehrlich und Realist und wir haben noch Lücken zu füllen.

Welche?
In der Vermarktung zum Beispiel sind uns die Formel 1 oder eben auch der Fußball schon noch weit voraus. Was uns sehr gefreut hat, dass Netflix auch auf den Radsport aufgesprungen ist. Sie haben ja letztes Jahr mehrere Teams bei der Tour de France begleitet und daraus eine Dokumentation gemacht. Wie läuft so ein Sportteam ab? Wie ist die Tour de France? Das hat es mit "Drive to survive" in der Formel 1 gegeben und das war ein großer Push. Wenn es einen ähnlichen Push bei uns geben würde, würde ich nicht nein sagen.

Es gibt 260 Renntage pro Jahr, die Tour wird auch nicht kleiner, der Druck aber auch größer für alle Rennställe. Denkt man da als Teamchef auch, dass der Erfolg kommen muss? Muss man ihn erzwingen?
Erfolg zu erzwingen ist immer schwierig. Aber Leistungssport ohne Druck funktioniert sowieso nicht. Wer sich einlässt auf den Leistungssport und den Druck nicht bewältigen kann, der ist vielleicht besser bei den Behörden aufgehoben. Da meine ich jetzt nicht nur die einen Fahrer, sondern auch die Mitarbeiter außen herum.

Drängen mehr Teams an die Spitze?
Ja, ich würde mal sagen, wenn man erfolgreich unterwegs ist, dann legt man sich persönlich die Messlatte, dass man möglichst gut ist oder die Erfolge toppen kann. Wenn man das so sieht, wird automatisch die Luft immer dünner. Aber wie gesagt, es ist Teil des Leistungssports und wir müssen damit umgehen.

Es gibt jetzt ungefähr 1000 Radprofis, die in den zwei höchsten Klassen Rennen gewinnen können auf dieser Welt. Dennoch gibt es immer wieder diese Überflieger. Was machen die besser? Was machen die anders?
Die machen gar nicht so viel anders!

Aber es reicht ...
Es reicht. Wir wissen das aus sicherer Hand, dass die jetzt nicht so viel anders machen, weil das wäre ja einfach. Also: Wenn jetzt die sagen, die fahren einfach nicht sechs Stunden raus, sondern fahren jeden Tag zehn Stunden, dann wäre es einfach, das zu kopieren. Sie kommen einfach als andere Menschen auf die Welt. Wir haben das am eigenen Beispiel erlebt mit Peter Sagan. Und das ist ein sehr gutes Beispiel: Peters Bruder ist ja auch bei uns gefahren. Sie haben die gleiche Mutter, den gleichen Vater und man möchte meinen eigentlich auch die gleichen Gene. Aber der eine hat das Rad bloß angeschaut und ist besser geworden, der andere hat viel trainieren müssen und ist nicht so gut worden wie der andere.

Worin liegt der Unterschied?
Es geht wirklich darum, wie du auf die Welt kommst. Organisch, wie du regenerierst und so weiter. Und natürlich musst du dann auch das ganze noch dealen. Ich will jetzt nicht sagen, Sagan hat nicht trainiert. Er hat sehr, sehr vorbildlich trainiert und hat auch dafür gelebt, war immer motiviert, war ein spezieller Charakter und was ihm auch zugutegekommen ist, war, dass er eine Mannschaft mitreißen konnte. Aber ich will jetzt nicht sagen, dass sein Bruder das nicht auch gehabt hat. Aber er ist einfach nicht so gut geworden, obwohl er genauso viel trainiert hat. Das ist ein gutes Beispiel, dass Leute wie ein Pogačar, ein Evenepoel einfach anders geboren wurden und damit muss man einfach klarkommen. Remco Evenepoel zum Beispiel ist mit 19 Jahren in Innsbruck Weltmeister geworden und wir hatten ihn schon vorher auf dem Radar, weil er gegen unser Team gefahren ist. Dann hat mich ein Trainer von uns angerufen und gesagt: "Da gibt es jetzt einen Belgier, der sagt am Start Tschüss zu allen und fährt dann mit 15 Minuten Vorsprung ins Ziel. Der hat damals schon so dominiert und ist vom Fußball gekommen, der hatte noch nicht zehn Jahre Radsport ausgeübt. Das ist einfach genetisch bedingt. Im Moment haben wir vielleicht eine Phase, die ganz speziell ist. Solche Überflieger gab es in der Vergangenheit auch, wie Sagan. Die gibt es immer wieder, aber die machen grundsätzlich nicht viel anders.

Gerade von Remco Evenepoel wurden heuer sehr starke Wattwerte kolportiert. Wo geht das jetzt hin?
Wo das hingeht, weiß kein Mensch. Man weiß zum Teil, wie die enormen Wattwerte in der Armstrong-Zeit zustande gekommen sind. Mittlerweile. Wir haben natürlich mit Rolf Aldag Kontakt, der war ja auch in dieser Zeit dabei, und da macht man jetzt schon vieles anders. Damit meine ich etwa das Höhentraining, das mittlerweile eine mega Rolle spielt. Thema Ernährung, Thema Material. Es ist schon sehr, sehr professioneller geworden, und deswegen fahren wir Plus-Minus genauso wie schon zu Zeiten des Dopings. Ich vertraue schon dem Kontrollsystem, was wir haben, jetzt, das ist das stärkste, das - glaube ich - im ganzen Sport seinesgleichen sucht. Und hätte ich das Vertrauen nicht, dann würde ich morgen aufhören.

Die künstliche Intelligenz ist ein großes Thema, auch im Sport. Viele Sportler tracken schon am Handgelenk selber mit. In welchen Bereichen hat die KI bei Ihnen schon Einzug gehalten?
Wir haben mit Dan Lorgan als Head of Performance einen Experten im Team. Wir haben das auf dem Radar, können aber auch nicht sagen, dass wir schon die mega Erkenntnisse haben - weil sonst würde es jeder wissen.

Aber es ist ein Thema?
Sicherlich und das kannst du auch nicht mehr vermeiden. Wahrscheinlich kann man sich in ein paar Jahren ohne künstliche Intelligenz nicht einmal mehr bei einem Rennen anmelden.

Wenn man Sie verfolgt, hört man immer wieder das Wort Manieren. Welche muss man Radfahrern beibringen?
Bei uns in der U19 sind die Basics wichtig. Die Hand zu geben, wenn man jemanden trifft. Hallo zu sagen und in die Augen zu schauen. Essen mit Messer und Gabel. Pünktlichkeit, Zielstrebigkeit, das wollen wir den jungen Sportlern mit auf den Weg zu geben. Das sind schon auch Werte, die bei uns in der U19 hochgeschrieben werden. Wir sind uns schon bewusst, dass wir in der U19 nicht jeden zum top Berufsfahrer machen können. Also, du wirst schon noch mehr ausgesiebt, dann, wenn die dann hochgehen. Ich habe ja auch einmal persönlich den Traum gehabt, ein großer Berufsfahrer zu werden - habe ich nicht geschafft. Aber ich würde schon sagen, dass Kampfgeist, das Nicht-Aufgeben, das Durchhalten, wenn es einmal schwer ist, mir der Sport gebracht hat. Von dem her, glaube ich, hat der Sport sehr, sehr viele Werte, mit denen du in der Gesellschaft sehr weit kommen kannst. Meiner Meinung nach hätte er auch in der gesamten Gesellschaft schon wieder mehr Status verdient.