Anna Kiesenhofer hat sich mit Gold bei den Olympischen Spielen von Tokio aus dem Schatten in das Rampenlicht gestrampelt. Dabei ist die promovierte Mathematikerin eigentlich nicht in den Straßenrennen, sondern beim Zeitfahren zu Hause und nach den Spielen galt die Konzentration wieder dem Kampf gegen die Uhr. Dennoch brodelte ein Verlangen in ihr und das wird sie nun bei der Vuelta stillen. „Ich habe schon das Bedürfnis, mich in den Anstiegen mit den Besten der Welt zu messen und nicht nur Einzelzeitfahren zu bestreiten.“ Dabei wandte sie dem Peloton einst den Rücken zu; sie wollte das Risiko selbst steuern.
Nun begibt sie sich als Gastfahrerin bei der spanischen Equipe Soltec ins Getümmel. „Natürlich ist es ein Risiko, und um ehrlich zu sein, ist es für mich auch nicht leicht. Aber es stimmt: ,No risk, no fun.‘ Ein bisschen Risiko muss ich eingehen.“ Los geht die fünftägige Landesrundfahrt heute mit einem Teamzeitfahren über 19,9 Kilometer. Da wird sich die Niederösterreicherin schonen und hinter den Kolleginnen fahren – wohl auf dem Straßenrad. Auf dem will sie dann in den Bergen ihre Klasse ausspielen. „Ich werde in den Anstiegen versuchen, so gut zu fahren, wie ich kann. Aber ich werde wohl nicht alleine wegkommen“, sagt sie. „Es sind harte Berge und wenn im Peloton viele nicht so stark sind, kann man mit einer kleineren Gruppe wegkommen – vorausgesetzt, ich bin stark genug.“
Die große Favoritin auf den Gesamtsieg ist Annemiek van Vleuten. Die Niederländerin triumphierte heuer beim Giro d’Italia Donne und der ersten Tour de France Femmes. „Mit der Tour sind die richtig harten Anstiege auch in die Frauenrennen gekommen. Früher war es so, dass es schon ein hartes Rennen war, wenn ein Anstieg zehn Minuten gedauert hat.“ Auch bei La Vuelta sind drei Etappen bergig. „Es wird härter und das finde ich cool. Es ist ausgeglichener. Früher gab es für Frauen eher klassikerähnliche Rennen mit kurzen Rampen.“
Unter Vertrag ist Kiesenhofer weiterhin bei Cookina Graz – bei den Spanierinnen wird sie dennoch die Kapitänsrolle übernehmen. „Ich werde als die angesehen, die am Anstieg die Stärkste ist und dann wird für mich gefahren. Ich würde keinen Vorbereitungsblock einlegen, um dann Wasserträgerin zu sein.“ Nach der EM in München (5. Zeitfahren) hat sie sich für die iberischen Berge geschunden. „Es war schon hart, aber ich schieße mich inzwischen weniger ab als früher. Man trainiert, um besser zu werden, und es gibt einen Punkt, ab dem man das nicht mehr wird. Man muss die richtige Dosis finden.“