Der, man muss es sagen, sensationelle Umsturz im Gesamtklassement passierte schon am Tag vor dem Tag, der an sich dafür auserkoren war. Der Slowene Tadej Pogačar, der unantastbar schien, brach ein, damit fährt der Däne Jonas Vingegaard nun am 14. Juli, dem Nationalfeiertag der Franzosen, in Gelb die Königsetappe mit dem Ziel in Alpe d'Huez. Eine Etappe, die den Namen "Königsetappe" wahrlich verdient.
Was die Stimmung betrifft, sagt das steirische Ex-Radass Peter Luttenberger, ist das, was auf dieser Etappe kommt, das Nonplusultra: „Mehr geht nicht mehr.“ Am französischen Nationalfeiertag fährt die französische Landesrundfahrt zuerst über den Col du Galibier (2619 Meter), dann den Col de la Croix de Fer (2068 Meter) und dann noch die 21 Kehren hinauf nach Alpe d’Huez (1831 Meter). Der Anstieg von Bourg d’Oisans zum Skiort gilt als eines der Epizentren des Radsports. „Die Leute campen dort tagelang, malen die Straße an und feiern. Das ist kaum zu überbieten“, erzählt Luttenberger, Tour-Fünfter 1996. (Die Beschreibung der Etappe von der Tour de France)
Auch heute werden unzählige, frenetische Fans erwartet. Beim Zeitfahren 2004 jubelten den Profis gut 1,3 Millionen zu. Damals fuhr auch Paco Wrolich: „Es war sehr schwer, aber ich habe es trotzdem wirklich genossen. Vom ersten bis zum letzten Tritt.“ Das Meer der Fans öffnet sich erst kurz vor den Fahrern und gibt den Weg frei. „Erst wenn das Spalier aufgeht, weißt du, wie die Strecke weitergeht“, erzählt Wrolich, der in seiner Karriere als „Bodyguard“ der Kapitäne oft mit den Händen oder Ellenbogen Platz schaffen musste.
Der Pirat hält nach wie vor die Bestzeit
Bei besagtem Bergzeitfahren siegte zwar Lance Armstrong, die Bestzeit auf den Berg hält der (des Dopings überführte) US-Amerikaner aber nicht. Marco Pantani stellte 1995 in 36:50 Minuten den Rekord auf; der „Pirat“ fuhr sogar die drei schnellsten Zeiten über die 13,9 Kilometer und 1118 Höhenmeter (1194: 37:15/1997: 36:54).
„Wer mit dem Rad da hinauf fährt, ist selbst schuld“, sagt Wrolich lachend, „und auch wenn es in den Alpen und den Pyrenäen schwierigere Anstiege gibt – dieser Berg wurde von den Fans und den Zusehern zum Mythos gemacht.“ Vor allem die Holländer haben ihn zu ihrem Mekka auserkoren. Das orange Zentrum der Ausgelassenheit ist Kehre 7. „Wenn du im Gruppetto hinauffährst, kommst du im ,Dutch-Corner‘ fast nicht daran vorbei, zumindest ein halbes Heineken zu trinken“, erzählt der Kärntner.
2003 versuchte Gerrit Glomser sein Glück
Auch im Jahr 2003 führte die Etappe zuerst über den Galibier und endete in Alpe d’Huez. Damals suchte ein Salzburger sein Glück in der Flucht: Gerrit Glomser. „Zuerst fuhren wir über den Col du Télégraphe, den Galibier hinauf hatte ich dann nur Gegenwind. Da bin ich verhungert.“ Damals kontrollierte Armstrong das Feld und jagte den Österreicher. „Man braucht sich nicht einmal umzudrehen, um zu wissen, wann sie kommen. Man hört die Hubschrauber, die über den Kapitänen kreisen und da weiß man, dass es bald vorbei ist“, erzählt er schmunzelnd.
Dreimal ist er die Tour gefahren, hat viel erlebt – auch Verwunderliches. „Ich habe mich lange gewundert, warum mir so viele Leute zurufen, wenn wir mit 40 Kilometern in der Stunde vorbeifahren. Warum sie mich erkennen. ,Geeeeeerrrit‘ habe ich immer wieder gehört. Dann bin ich einmal neben Erik Zabel gefahren und hab’ bemerkt: Es war der Dopplereffekt.“ Wie Glomser fuhr auch Rene Haselbacher 2003 die 100. Auflage der Tour. Der Sprinter konnte es in den Bergen und auch hinauf nach Alpe d’Huez leichter angehen. „Den Namen dieses Berges kannte ich schon mit 13 Jahren und dann habe ich es selbst geschafft, ihn mit der Tour hinaufzufahren. Und diesen Berg musst du als Radfahrer einmal in deinem Leben gefahren sein“, sagt er, „auch als Hobbyfahrer.“