Der Österreichische Radsport-Verband ließ am 31. März mit einer Aussendung aufhorchen: Nach zwei Jahren Pause wurde das Comeback der Ö-Tour vollmundig angekündigt. Mit Etappenplan und allem Pipapo. Die Kunde machte schnell die Runde und selbst sechs Teams aus der World Tour kündigten ihr Kommen schnell wie ein guter Sprintzug an. Die heimischen Teams sahen die größte heimische Radsport-Bühne, für viele Existenzgrundlage, wiederhergestellt. Doch daraus wird nun nichts.
Denn die Österreichrundfahrt ist auch für das Jahr 2022 geplatzt. Der Verband sagte die Ö-Tour am Dienstag nach einem einstimmigen Beschluss in der Präsidiumssitzung ab. Als Gründe wurden einerseits die Kostenexplosion aufgrund der jüngsten Teuerung und – wie die Kleine Zeitung berichtete – andererseits die zwei nicht möglichen Etappen in Kärnten angeführt. Kurzfristig noch Ersatz zu finden, stellte sich als unmöglich heraus. "Das Argument des Landes Kärnten, im Hinblick auf die nach zwei schwierigen Tourismusjahren nun nicht für eine Rundfahrt vorbereiteten Hotelkapazitäten, ist absolut nachvollziehbar", hieß es in der Aussendung des Verbandes.
Zusätzlich erschwerte die in den letzten Monaten unsichere wirtschaftliche Entwicklung die Finanzplanung der Rundfahrt. "Mich schmerzt das persönlich sehr, aber vor dem Hintergrund der definitiven Absage für zwei Etappen und der aktuellen großen wirtschaftlichen Unabwägbarkeiten mit enormen Teuerungsraten wäre ein Durchboxen dieser Rundfahrt, die von uns allen so herbeigesehnt wird, unverantwortlich und unrealistisch", wird ÖRV-Boss Harald J. Mayer zitiert.
Was dem neu installierten Organisationsteam rund um Werner Kuhn und Christoph Ziermann heuer nicht gelungen ist, soll künftig eine Arbeitsgemeinschaft erledigen. "Jetzt soll die 'Arge Österreich Rundfahrt' geschaffen werden, die geeignete Strukturen zur Neuaustragung erarbeiten soll", sagt der ÖRV-Präsident.
Als Rundfahrtsdirektor hatte Werner Kuhn vor etwas mehr als einem Monat das Projekt präsentiert. Der ehemalige Rapid-Manager wurde mit der Ausrichtung der Tour betraut, der ÖRV wollte die Landesrundfahrt nicht aus den eigenen Händen in die eines professionellen Ausrichters geben. Selbst eine Organisation durch die heimischen Continental-Teams wurde dem Verband vorgeschlagen.
"Wahnsinn!" – heimische Teams toben
Die Enttäuschung, ja Entrüstung, im heimischen Radsportlager ist riesig. "Das ist eine Katastrophe! Ein Armutszeugnis für den österreichischen Radsport", sagt etwa WSA-Graz-Chef Christoph Resl, "wir haben alles andere abgesagt, um die Ö-Tour fahren zu können ... und dann das."
Auch Felbermayr-Sportchef Andreas Grossek ist stinksauer: "Wahnsinn! Das schlägt nun dem Fass den Boden aus! Wir Teams haben noch eine kleinere Rundfahrt mit einer niedrigeren Kategorie vorgeschlagen. Alles wäre besser als nichts. Und nun haben wir nichts in der Hand." Wobei der Rennstall des Grazers mit der "Sibiu Cycling Tour" für den für die Ö-Tour anberaumten Zeitraum zumindest noch eine Alternative hat.
Das Präsidium rund um Präsidenten Harald J. Mayer muss sich breite und laute Kritik gefallen lassen. "Ich denke nicht, dass diese Absage die Glaubwürdigkeit unseres Präsidiums infrage stellt", sagt Vizepräsident und Verbandssprecher Gerald Pototschnig, "wir haben in den vergangenen Jahren in vielen Bereichen etwas weitergebracht und den Verband auch wirtschaftlich wieder in die Spur gebracht."
Kritik auch vom Giro
Felix Gall, der aktuell beim Giro d'Italia im Einsatz ist, meldete sich ebenfalls zu Wort. Bitter enttäuscht, wollte der Lienzer doch zum ersten Mal in seiner Karriere die heimische Rundfahrt bestreiten. "Die Tour ist extrem wichtig, nicht nur für die Profis. Sondern vor allem für die heimischen Nachwuchsfahrer, die eine Chance bekommen, sich da zu präsentieren. Dass man es jetzt zum dritten Mal in Folge nicht schafft, die Ö-Tour zu organisieren, ist schon ein Armutszeugnis für den österreichischen Radsport."
Keine Kommunikation
Dabei hätten die Teams selbst in einigen Bundesländern Etappen organisiert, erzählt etwa Vorarlberg-Chef Thomas Kofler. Man würde auf diesen Vorschlag zurückkommen, hieße es damals vonseiten des ÖRV. Man kam nicht – und jetzt raste die Ö-Tour sozusagen ungebremst in einen Massencrash. "Ich denke nicht, dass wir uns mit einer ohnehin abgespeckten Ö-Tour über fünf Tage übernommen haben", sagt Pototschnig. Die aktuellen wirtschaftlichen Entwicklungen wären aber so nicht vorhersehbar gewesen.
Die Kommunikation nach außen ist zwischen der ersten Aussendung über die Durchführung der Rundfahrt und der überraschenden Absage am Freitagabend auf null gestellt worden. Die Absage war ein Schock, man wähnte sich in Sicherheit. "Wir haben ein paar Mal nachgefragt, wie konkret die Ö-Tour nun ist und haben immer nur gehört, dass sich der ÖRV eine Absage nicht leisten könnte", sagt Resl. "Diese Rundfahrt ist für uns heimische Teams das wichtigste Rennen des ganzen Jahres. Da können wir uns präsentieren." Denn in Österreich gibt es kein einziges UCI-Eintagesrennen: "Wir Teams haben immer wieder Vorschläge gemacht, etwa kleinere Rundfahrten, aber die wurden nicht einmal diskutiert, geschweige denn angenommen."