Wie fühlt es sich an, die Tour de France zu fahren?
PETER LUTTENBERGER: In wenigen Worten: Das ist der Olymp des Radsports. Da kommt nichts hin, weder Weltmeisterschaften noch Olympische Spiele. Bei der Tour de France treffen die Besten der Besten aufeinander, sprich die 180 besten Fahrer des Planeten und dementsprechend ist das auch einzuordnen.
Gibt es den einen, ganz großen Moment?
Das Ganze ist schon Schwerstarbeit, aber glücklicherweise vergisst man das im Laufe der Jahre und die schönen Erinnerungen bleiben. Wenn du einmal ein Teil der Weltelite bist, dann ist das eine enorme Genugtuung. Das sind Jahrzehnte, in denen du dich hocharbeitest. Das sieht ja keiner, dass du schon als kleines Kind herumgefahren bist und dich über die ganzen Nachwuchskategorien hochgearbeitet hast. Es sind viele Entbehrungen, die du hinnehmen musstest und nach Rückschlägen gilt es immer wieder aufzustehen. Wenn bei der Tour dann hunderttausende Menschen an der Strecke stehen, oder eine Million die Straße hinauf nach Alpe d'Huez vor dem Feld auseinanderspringt, vier, fünf Hubschrauber das Feld begleiten und Millionen vor dem TV dabei sind und du fährst vorne mit, ist das ein enormes Gefühl. Das bekommst du sonst bei keinem Rennen.
Kennen Sie Patrick Konrad?
Wir sind über die sozialen Medien verbunden und dementsprechend bekommt man was mit. Aber unsere Karrieren haben sich nicht überschnitten.
Wenn Sie die Bilder im TV sehen, denken Sie dann an die Schmerzen, die Sie einst in diesen Passagen hatten?
Wenn man 12, 13 Jahre in der World Tour unterwegs ist, kennt man europaweit jedes Schlagloch mit Vornamen und dementsprechend kenne ich mich auf den französischen Straßen auch gut aus. Daher weiß ich auch, wie schwer die sogenannten Flachetappen wirklich sind. Es ist eigentlich nie flach, es gibt Wind und viele Stürze, denen du ausweichen musst. Dazu muss man vorne sein und um die Position rangeln. Es sind nicht nur die Bergetappen eine enorme Herausforderung. Als Gesamtklassementfahrer darfst du keine Zeit verlieren, als Sprinter musst du gewinnen – da ist immer eine Anspannung da.
Bei der Tour ist immer Krawall angesagt?
Ja. Es ist jeden Tag wie eine Weltmeisterschaft.
Manchmal sieht man Peter Luttenberger auf dem Rad. Wie sehr sind Sie noch in dem Sport?
Zur persönlichen Fitness fahre ich noch oft mit dem Rennrad oder Mountainbike. Aber nicht die Megastrecken, sondern so zweieinhalb Stunden, drei bis vier Mal pro Woche. Das ist so meine Spaßstrecke.
Eine alte Weisheit sagt: Wer drei Stunden schnell Radfahren kann, kann es auch sechs Stunden. Von dem her sollten Sie ja noch gut drauf sein. . .
Ich bin auch viel in meinem Leben gefahren. Man kann sicher von 700.000 Kilometern reden. Radfahren ist super, aber wenn man es über Jahrzehnte lang so intensiv betrieben hat, stumpft man schon auch ab. Als ich aufgehört habe, Rennen zu fahren, habe ich das Rad ein Jahr lang überhaupt nicht angegriffen, weil ich megagesättigt war. Aber man kommt dann schon drauf, dass es einfach super ist. Man hat keine Verschleißerscheinungen, es ist immer wieder ein kleines Abenteuer. Man entdeckt mit dem Rad Dinge und auch Gebiete, in die man sonst wohl nicht kommen würde. Große Distanzen fahre ich aber nur mit Freunden. Oder ich bin einmal mit dem Rad nach Ägypten oder Kroatien gefahren.
Aber das "Goschnpolieren", wie es Tour-Fahrer Lukas Pöstlberger nennt, steht nicht mehr an?
Das muss einem Spaß machen und den habe ich bei zwei Stunden auch.
Ist der Sport von der technischen Seite her mit ihrer Zeit noch zu vergleichen?
Ich sehe keine allzu großen Veränderungen, außer, dass die Socken höher geworden sind. Wir hatten vor 15 Jahren auch schon aerodynamische Carbon-Rahmen mit Laufrädern aus Carbon, weil der Rennsport dem normalen Radsport technisch immer weit voraus ist. Viele Prototypen, die erst später auf den Markt kommen, werden im Profifeld getestet. Persönlich sehe ich da nicht sehr viele Veränderungen. Man kann das Rad aber auch nicht völlig neu erfinden. Es sind eher die Renndistanzen kürzer geworden. Einfach, damit auch mehr Action drin ist. Wenn man immer nur 250 Kilometer lange Etappen hat, ist es für die Zuseher vielleicht auch ein bisschen fad.
Nach Konrads Etappensieg war immer die Rede von drei Österreichern, die eine Tour-Etappe gewonnen haben. Es ist nicht falsch, aber auch nicht ganz richtig. Oder?
Das stimmt. Ich habe mit "Once" im Jahr 2000 die vierte Etappe gewonnen. Ein Mannschaftszeitfahren.
Sie kennen also das Gefühl, das Podium zu betreten.
Das ist schon eine riesige Genugtuung. Mit "CSC" habe ich einmal die Teamwertung gewonnen und bin auf der Champs-Élysées auf dem Podest gestanden. Man bereitet sich auf jedes Rennen ganz genau vor, arbeitet mehr als ein Jahrzehnt darauf hin und bei der Tour bekommst du bei einem Erfolg am meisten zurück. Es gibt Millionen Menschen, die sich das auf dem gesamten Globus im Fernsehen anschauen und das hast du sonst nirgendwo. Aber so ein Erfolg ist nicht nur eine persönliche Genugtuung, das kann man auch monetär sehr gut umwandeln.
Vom Radfahren gut leben können aber dennoch wohl nur die Besten der Welt . . .
Wenn du auf der World Tour bist und das sind so 500 Leute, lebst du schon sehr gut. Das Durchschnittsgehalt liegt da bei 250.000 bis 300.000 Euro, wenn man ein guter Helfer ist, auf den man sich verlassen kann.
In welche Richtung wird sich der Sport entwickeln?
Das kann man so schwer sagen. Im Damensport gibt es noch Luft nach oben und das würden sie sich absolut verdienen. Man sieht mittlerweile auch schon viel mehr Damen, die mit dem Rennrad trainieren und auch die E-Bike-Geschichte sehe ich wirklich sehr positiv. Man sieht nun Leute mit dem Rad auf der Straße, die sich das sonst nicht mehr angetan hätten. So bekommen mehr Menschen den Blick dafür, wie schön der Radsport ist. Wenn man mit dem Sport nichts zu tun hatte, tut man sich beim Zusehen etwa mit Taktik schwer. Aber wenn man selbst auf dem Rad gesessen ist, bekommt man dafür ein bisschen ein Händchen. Mit dem Interesse steigen auch die Zuseherzahlen. Ich denke, dass mit dem steigenden Interesse auch mehr Rennfahrer herauskommen werden.