16. Juli

Nach der nächtlichen Razzia bei der Tour de France feierte der Teamkollege von Marco Haller, Matej Mohoric, den Etappensieg. "Unglaubliche Antwort von Matej", sagte Haller. "Das als Mannschaftssieg zu bezeichnen, wäre unverschämt. Das war seine eigene Weltklasse." Alles zur drittletzten Etappe.

14. Juli, Tag 17: Der Unantastbare

Meiner Meinung nach ist Tadej Pogacar bei dieser Tour unantastbar. Vor allem die kühleren Temperaturen spielen ihm in die Karten. Er hat jetzt oftmals den Beweis angetreten, dass er nichts anbrennen lässt und sein Ding durchzieht. Mit dem Etappensieg hat er das endgültig bestätigt. Ich bin der Meinung, dass keine große Gefahr mehr ausgeht, was die Verfolger angeht. Aber vor Defekten und Stürzen muss man immer Obacht haben. Wir sehen da aber schon den zukünftigen Tournee-Sieger, denke ich.

Ich selbst bin nicht stark genug, um bei den schweren Bergetappen ganz vorne mitzumischen aber auch nicht so schlecht, um irgendwie auf das Zeitlimit Acht geben zu müssen. Natürlich will ich das jetzt noch nicht verschreien, weil morgen ein heikler Tag ist, da darf man sich keinen Hänger erlauben. Die Stimmung im Team ist gut, wir führen weiter im Klassement der Mannschaftswertung. Wir werden versuchen das Berg-Trikot und die gelbe Rückennumer zu verteidigen und es wäre schon etwas Besonderes, wenn wir mit der gesamten Mannschaft in Paris auf das Podium gehen könnten.

13. Juli, Tag 16: Ganz großes Kino

Es ist ein großer Tag für den österreichischen Radsport. Patrick Konrad hat sich in die Geschichtsbücher eingetragen. Zum ersten Mal seit Georg Totschnig 2005 krönte sich ein Österreicher zu einem Etappensieger auf der Tour. Hochachtung vor dieser Leistung. Er hat es bereits in den vergangenen Tagen probiert und gezeigt, dass er in absoluter Top-Form ist. Das habe auch ich ei den Österreichischen Meisterschaften erfahren müssen.

Ich gönne ihm den Erfolg von Herzen. Er hat die größte Bühne des Radsports genutzt und das freut mich extrem für ihn. Patrick Konrad, Etappensieger der Tour de France, das hört sich wirklich super an. Das war einfach ganz großes Kino.

9. und 10. Juli, Tag 14/15: Don't mess with Cav

Wenn einer Radsportgeschichte schreibt und mit Legende Eddy Merckx gleich zieht, dann ist das auf jeden Fall einen Tagebucheintrag wert. Mark Cavendish hat es also geschafft und mit dem Belgier in punkto Etappensiege gleichgezogen. Man hatte ihn schon abgeschrieben und jetzt holte nun wie der "Kannibale" 34 Tagessiege bei der Tour de France - die Wiederauferstehung sozusagen.

Und das mit dem vierten Etappensieg heuer. Man muss neidlos anerkennen, was der kleine Brite da geleistet hat. Natürlich ermöglicht durch perfekte Teamarbeit. Seine Klasse und seine Schnelligkeit hat er wieder unter Beweis gestellt. Eine Geschichte, wie sie nur der Sport schreiben kann -  mit Ups and Downs in den letzten zwei Dekaden.

Ich hatte im letzten Jahr die Ehre mit ihm in einer Mannschaft zu sein. Leider hat das für ihn in unserem Team überhaupt nicht funktioniert. Woran auch immer das gelegen hat, sei dahingestellt. Aber Hochachtung vor dieser Leistung und diese Rekorde, mit denen er Geschichte geschrieben hat.

Praktisch verheiratet war er aber mit Bernie Eisel. Mit ihm ist er durch Dick und Dünn gegangen. Bernie hat im Radsport alles für ihn gegeben. Und die beiden sind auch privat stark verbunden. Wenn ich Mark wäre, würde ich noch einmal alles geben, um auch in Paris das Grüne Trikot drüberzustreifen und als "König der Sprinter" in Pension zu gehen.

Apropos Gratulation: Patrick Konrad hat auf der 14. Etappe eine super Leistung abgeliefert und holte sich Rang zwei.

8. Juli, Tag 13: Auf Attacke gebürstet

Viele wissen vielleicht, dass wir jeden Morgen eine lange Besprechung zum Thema Renntaktik abhalten. Worum geht es dabei? Grundsätzlich verläuft das Meeting auf drei Ebenen: Fokus auf Gesamtklassement, Fokus auf Sprint oder in den eher seltenen Fällen eine Kombination Klassement/Sprint.

Wir waren heuer ursprünglich in Richtung Gesamtklassement ausgerichtet. Dabei ging es, unseren Fahrer Jack Haig so gut es geht zu beschützen, dh. bei Schäden oder Stürzen muss immer ein Teamkollege bei ihm sein. Die oberste Prämisse lautete, die erste Woche zu überstehen, ohne dass er Zeit verliert. Wie wir alle wissen ist er jedoch schwer gestürzt und hat sich gleich zu Beginn der Tour de France einen komplizierten Schlüsselbeinbruch zugezogen. Damit war die ursprüngliche Strategie hinfällig.

Und dann kann man vor der Tour eine komplett andere Richtung wählen. Wie es etwa Deceuninck-QuickStep mit Mark Cavendish vorgezeigt hat. Sie verfügen über eine reine Sprinter-Mannschaft. Da geht es darum, die Fluchtgruppe bei Flachetappen so klein wie möglich zu halten, um sie von hinten zu kontrollieren. Im Idealfall holt man sie vor dem Ziel wieder ein und zieht den Massensprint an - den dann Cav gewinnt.

Für uns ist es mit Sonny Colbrelli die Situation ein wenig anders, weil er sich bisher in den Massensprints nicht durchsetzen konnte. Dh. wir haben versucht, die Etappen zu animieren und in den Fluchtgruppen vertreten zu sein. Damit ein Etappensieg geholt werden kann - wie es bei uns ja schon zwei Mal funktioniert hat. Colbrelli hat es nach Tignes versucht, wo er Dritter geworden ist.

Mir wäre heute die Etappe eigentlich sehr gut gelegen und ich habe auch versucht, die entscheidende Spitzengruppe zu treffen. Leider habe ich sie dann versäumt und eine wertvolle Chance liegen gelassen. Am Freitag sollte es noch einmal in diese Richtung laufen, vieles wird jedoch wetterabhängig sein.

Ich meine damit aber nicht Regen, sondern den Wind. Es könnte durchaus viel Gegenwind sein. Das heißt, eine Fluchtgruppe aus wenigen Fahrern (drei oder vier) wird es doppelt schwer haben, weil sie sich nicht so gut verstecken bzw. im Windschatten ausruhen können wie es im Peloton der Fall ist. Sollte es wieder eine große Gruppe geben, ist es deutlich wahrscheinlicher, dass sie sich absetzen kann.

Summa summarum: Wir, also Team Bahrain-Victorious, haben jetzt eine angriffslustige Mannschaft am Start. Wir haben unseren Teamkapitän infolge eines Sturzes verloren. Peio Bilbao ist sein Ersatzmann, der im Gesamtklassement auf dem zehnten Rang liegt. Auch diesen Platz gilt es zu verteidigen. Aber ohne groß Ressourcen aufzubrauchen. Das bedeutet, er erhält nicht die unumstößliche Unterstützung der restlichen Mannschaft. Und: Wir wollen offensiv Fahren, weil wir keinen Sprinter und keinen dezidierten Leader fürs Gesamtklassement dabei haben.

7. Juli, Tag 12: Morgenstund ist ungesund

Die Hitze ist da. Und dann noch der Mont Ventoux. Es war eine wahnsinnig schwierige Etappe heute. Viele Leute hatten Probleme. Ich musste beispielsweise doppelte Einheiten absolvieren, weil unser Sprint-Kapitän Sonny Colbrelli hatte Magenprobleme, musste sich mehrmals übergeben. Ich habe beim ersten Mal am Mont Ventoux auf ihn oben gewartet, um ihn wieder ins Gruppetto zu bringen. Glücklicherweise hatten wir das Zeitlimit stets im Griff.

Das war aber gar nicht das ereignisreichste des heutigen Tages. Sondern die erste Überraschung ereignete sich um 7 Uhr morgens. Was in Frankreich relativ oft der Fall ist und insbesondere bei der Tour de France - vier Leute von unserem Team mussten zu einer unangemeldeten Doping-Kontrolle antreten. So etwas klingt im erstem Moment spektakulärer, als es dann im Endeffekt ist.

So etwas ist im Radsport nicht unübliches, dass man täglich für Kontrollen zur Verfügung steht. Mit dem Gesamtführenden Tadej Pogacar habe ich das letzte Mal geplaudert. Er erzählte mir, dass er zuletzt in der Früh aus dem Bett geklingelt worden ist und später unmittelbar vor dem Etappenstart musste er noch einmal zur Kontrolle. Fakt ist: Der Radsport hat eben seine Historie. Insofern ist es gut, dass man merkt, dass etwas passiert und Kontrollen stattfinden.

Ein bisschen war das aber schon unangenehm. Speziell vor so einer Etappe wie heute mit zwei Mal Mont Ventoux, da hätte man sich eine Stunde länger schlafen eher gewünscht. Stattdessen wurde der Zimmerkollege aus dem Bett geholt. Vielleicht hat das ja mit meiner Platzierung im Gesamtklassement zu tun - ich bin dieses Mal verschont geblieben. Natürlich war ich sofort munter, aber ich hatte wirklich kein schlechtes Gewissen, als ich mich noch einmal umgedreht hatte.

6. Juli, Tag 10 und 11: Höhenbiwak.

Nach einem Ruhetag, der im Grund keiner war, melde ich mich zurück. Schon die Nacht auf Montag war nicht besonders vorteilhaft. Wir waren auf 2100 Metern untergebracht. Ich hatte große Probleme beim Schlafen, Ruhepuls und Atmung waren deutlich erhöht - eine Auswirkung der Höhelage. Wir haben dennoch den Ruhetag aktiv verbracht. Knapp eineinhalb Stunden sind wir auf dem Rad gesessen. Eigentlich optional, aber am Ende ziehen alle mit, um im Rhythmus zu bleiben. Und das war auch in meinem Interesse. Die Intensität ist selbstverständlich sehr gering.

Und das war es dann mit Ruhe. Denn heute ging es gleich wieder einmal chaotisch zu. Unser Sprint-Kapitän Sonny Colbrelli hatte in der entscheidenden Phase leider einen Defekt und musste das Rad wechseln. Wir haben uns entschieden, dass ich warte, um ihn wieder ans Feld zurückzubringen.

Leider ist er ein wenig nervös geworden und hat zuviel Energie daraufhin verschwendet. Wir hätten es vielleicht ruhiger anlegen sollen. Am Ende waren wir wieder rechtzeitig dort. Dann kam plötzlich Seitenwind auf. Einmal habe ich es dann noch geschafft, unser Team nach ganz vorne zu bringen. Also Colbrelli und unseren Klassement-Fahrer Peio Bilbao. Damit war meine Arbeit getan, die Kraft aufgebraucht. Das waren heute die Momente, die zeigen, dass Radsport ein Teamsport ist. Es gibt eben ganz klare Hierachien und Teamorder, und dann muss ein Fahrer wie ich dem Kapitän opfern. Damit dieser eine Chance hat, im Finale eine Rolle zu spielen oder wertvolle Punkte für das Grüne Trikot erkämpft.

Morgen wird es wieder steil. Insgesamt 37 Kilometer mit schwerem Anstieg müssen bezwungen werden. Konkret: Zwei Mal der berüchtigte Mont Ventoux. Aber meine Kletterform war bis dato gut genug. Es sollte keinen Stress bezüglich Zeitlimit geben. Hoffentlich bleibts dabei. Andererseit wärs ein "bad day to have a bad day".

4. Juli, Tag 9: Lektion gelernt!

Das war ohne Übertreibung einer der schlimmsten Tage meines Lebens auf dem Rad. Einerseits gab 4400 Höhenmeter zu bewältigen, das ganze komprimiert auf 145 Kilometern. Und was immer ein bisschen das Nadelöhr der Tour bildet: Wenn darauf ein Ruhetag folgt, will es jeder noch einmal wissen. Und genau so war es auch. Heute gab es die ersten, die die Karenzzeit nicht geschafft hatten. Selbst mir blieb nicht mehr viel "Spatze" übrig. Obwohl es mir nach dem ersten Berg noch gut gegangen ist, da habe ich den Anschluss ans Peloton wieder gefunden. Und war sogar relativ lange in der Gruppe des Gelben Trikots.

Aber der Dauerregen hat es kalt werden lassen. Noch dazu das permanente Klettern und so blieb nicht viel Zeit, auf die Kalorienzufuhr zu achten. Auf einer Etappe wie heute - ich bringe ja 80+ Kilogramm auf die Waage - werden fast 6000 Kalorien umgesetzt. Und die muss man erst wieder aufnehmen. Dabei habe ich heute kläglich versagt.

Wir erhalten zwar vom Team einen Plan, wie wir die Kalorienzufuhr am besten bewerkstelligen. Also wann und wo welche Produkte eingenommen werden. Um immer über genügend Energie zu verfügen. Aber gerade solche Etappen wie heute, wo du auf der Abfahrt aufgrund des Regens nicht zurücknehmen kannst und einen Riegel essen, da muss man immer 100-prozentig konzentriert und fokussiert bleiben, um Stürze zu vermeiden.

Solche Etappen sind einladend in ein Kalorien-, vor allem aber in ein Kohlenhydrat-Defizit zu fallen. Und am Ende mit leerem Tank dazustehen. Exakt das ist mir passiert. Die Beine waren also eigentlich gut, aber ich habe irgendwann gespürt, dass es immer weniger wird. Ein klares Zeichen, dass viel zu wenig Kohlenhydrate waren.

Wir haben heute auch versucht mit dem "Beta-Fuel" von der britischen Firma "Science in Sport" zu arbeiten. Auf hochintensiven Etappen wie heute beinhaltet etwa eine 0,5 l Trinkflasche etwa 80 Gramm Kohlenhydrate. Das ist schon fast das Maximum, was ein Körper in einer Stunde aufnehmen kann. Ich hab nur eine Flasche geschafft, habe viel zu wenig Gels und Riegel zu mir genommen. Das hat dann dazu geführt, dass ich am letzten Berg sogar das große Gruppetto ziehen lassen musste. Ich musste dann alleine gegen das Zeitlimit kämpfen.

Auf den letzten drei Kilometern ist glücklicherweise noch ein Österreicher auf mich aufgefahren. Mit Michael Gogl haben wir uns gegenseitig bis zur Ziellinie gebracht. So ein Hinterrad kann dann extrem wertvoll sein.

Noch ganz allgemein zum Thema Essen: Es wird exakt dokumentiert, was und wieviel wir essen. Es geht hauptsächlich um die Kohlenhydrate, um solche Situationen wie heute zu vermeiden. Am Tag zuvor habe ich etwa 600 Gramm Risotto verdrückt und ein halbes Baguette. Und dann wird analysiert, wieviel im Rennen verbraucht worden ist bzw. was aufgeholt werden muss.

3. Juli, Tag 8: Die Feldherren riefen "Gruppetto"

Der zweite Etappensieg in Folge ist im Trockenen. Es ist wirklich unglaublich, was meine Teamkollegen hier leisten. Ich hatte heute aber leider nichts damit zu tun. Es war ein extrem schwerer Start mit fünf Kilometer Anstieg. Es waren 60 Mann vorne und 100 hinten - so in etwa. Ich war bei den 100, als einziger unseres Teams. Doch vorne gab es bis ins Ziel ein Feuerwerk.

Diese 100 Mann haben sich zum sogenannten Gruppetto formiert. Das bedeutet, man konzentriert sich gar nicht mehr in das Renngeschehen vorne einzugreifen. Sondern das einzige Ziel ist es, vor der Karenzzeit, also der Zeit, die maximal gebraucht werden darf, über die Ziellinie zu rollen. Je nach Schwierigkeitsgrad der Etappe werden unterschiedliche Koeffizienten herangezogen. Heute etwa war der Schwierigkeitsgrad sehr hoch, somit erhöht sich der Koeffizient auf x Prozent. Manchmal beträgt er zehn Prozent. Also bei vier Stunden Fahrtzeit würde die Karenzzeit 24 Minuten betragen. Heute lag die Karenzzeit bei etwa 37 Minuten.

Zurück zum Gruppetto: Man versucht besonders im Flachen die Arbeit zu teilen und gegenseitig Windschatten zu spenden, sodass die Arbeit gerecht aufgeteilt wird. Am Berg wird ein moderates Tempo gewählt, dass alle zusammen bleiben und jeder mithalten kann. Im Fall der Fälle, wenn man die Karenzzeit also nicht schafft, wäre es für die Jury schwierig ein gesamtes Peloton von 100 Fahrern wie bei uns heute aus der Wertung zu nehmen. Deshalb der Ausdruck "Gruppetto".

Früher regierten richtige "Patrone" das Feld. Wenn es in den Bergen zum ersten steilen Anstieg kam, gellte ein Schrei durch das Feld mit dem Befehl: "Gruppetto". Daraufhin haben die Fahrer Tempo rausgenommen und sich Team-übergreifend zusammengeschlossen, um gemeinsam das besagte Zeitlimit zu erfüllen.

2. Juli, Tag 7: Elitärer Hattrick

Heute ist ein Tag der Freude. Unser Team Bahrain-Victorious hat durch den Slowenen Matej Mohoric den ersten Etappensieg geholt. Was wir heute ihm gesehen haben war eine taktische wie auch physische Meisterleistung. Matej war sehr clever, hat sich schon im Vorfeld mit gewissen Etappen befasst. Unter anderem mit der heutigen, wo es eine große Chance gibt, für eine Spitzengruppe auch das Ziel zu erreichen. Er hat alles in die Waagschale gehaut.

Wir haben schon vormittags im Bus die Weisung erhalten, ihn mit aller Kraft zu unterstützen und in eine Gruppe zu gehen. Offen gesagt, war es ursprünglich das Ziel, bei so einer großen Spitzengruppe mehrere Fahrer dabei zu haben, um ihn länger zu unterstützen. Das hat leider nicht geklappt. Aber vielleicht war das gar kein so ein großer Nachteil. Er hat sich defensiv verhalten, ließ die anderen Teams arbeiten.

Die Tour de France ist die Champions League des Radsports und ein Etappensieg dort verändert das ganze Leben. Das ist wie ein Ritterschlag. Und hervorzuheben ist: Mohoric hat mit diesem Sieg in allen drei großen Landesrundfahrten (Vuelta, Giro, Tour) einen Etappensieg geschafft. Das ist Radsportgeschichte, und nur wenige gehören diesem elitären Kreis an. Umso stolzer ist die gesamte Mannschaft auf ihn.

Finanziell wirkt sich so ein Etappensieg für uns Fahrer nicht außergwöhnlich aus. Für fast die Hälfte des Preisgeldes müssen Steuern gezahlt werden, dann werden die Dopingkontrollen abgezogen (die ja wir Fahrer selbst bezahlen), die Fahrervertretung und 20 Prozent erhält das Team hinter dem Team für ihre Arbeit. Also viel bleibt nicht übrig für die acht Fahrer der Mannschaft.

Aber darum gehts uns in diesem Moment gerade wirklich nicht. Für uns war das heute der absolute Wahnsinn und wir freuen uns sehr.

1. Juli, Tag 6: Achtung, Lauschangriff!

Erneut hat heute Mark Cavendish im Sprint triumphiert und damit das grüne Trikot verteidigt. Der zweite Sieg war für uns alle eigentlich gar nicht mehr so überraschend. Er dürfte jetzt einen Schalter umgelegt haben und es würde mich nicht wundern, wenn noch weitere Etappensiege folgen und sogar in grün nach Paris fährt.

Morgen stehen 250 Kilometer auf dem Programm, wobei es auch eine Bergwertungen am Ende gibt. Dann folgen die Alpen am Wochenende. Ich bin sogar froh, dass es jetzt ein bisschen schwieriger wird. Weil meine Form ziemlich gut ist und es bei im Sprint leider überhaupt nicht klappt. Vielleicht wird es daher Fluchtgruppen-technisch etwas interessanter.

Und das bringt mich gleich zum Thema Funk. Der ist in solchen Situation natürlich immens wichtig für Ausreißer, Verfolger und Peloton gleichermaßen. In den ersten Tour-Tagen ging es am Funk heiß her, war enorm stressig. Für uns Fahrer ist es die wichtige Verbindung zum Sportlichen Leiter, der im Teamauto sitzt. Es müssen schnell wichtige Entscheidungen getroffen werden, besonders bei Defekten oder Stürzen. Wir werden dabei immer am neuesten Stand gehalten.

Ein Beispiel: Auf der fünften Etappe hatte ich einen Hinterrad-Defekt. Da wird dann nur der Name und der Grund durchgefunkt. Somit weiß der Mechaniker bescheid und hält das richtige Laufrad bereit. Anders bei einem Sturz: Da wird durchgegeben, wer alles involviert gewesen ist. Damit die Team-Leute gleich mit dem jeweiligen Ersatzrad anrücken können.

Weitere Gründe können die Rennsituationen bilden: Wenn sich eine Spitzengruppe formiert hat, wird durchgegeben, welche Fahrer bzw. Teams dabei sind und ob jemand dabei ist, der für die Gesamtwertung oder das Punktetrikot gefährlich werden könnte. Dann wird die Taktik zurecht gelegt. Für die Details jedoch lässt man sich zurückfallen und holt die wichtigen Infos direkt beim Auto ab. Auch um sicherzustellen, dass niemand mithört.

30. Juni, Tag 5: 22 Gänge für 3414 Kilometer

Endlich lief es heute nach den turbulenten letzten Tagen ein wenig ruhiger ab. Nach exakt 35:44 Minuten war mein Arbeitstag nach dem Einzelzeitfahren auf der 5. Etappe beendet. Alle hatten dieses Mal ausnahmsweise genügend Platz auf der Straße.

Damit bleibt Zeit, über unser Material nachzudenken. In den letzten Tagen wurde ja viel zerstört und heute waren erstmals die Zeitfahrmaschinen im Einsatz. Davon besitzt jeder Fahrer zwei Stück, plus vier komplett fertige Straßen-Rennmaschinen. Zur Übersetzung: 53/39 Zähne vorne um die Berge zu covern, und hinten meistens 11 Zähne im schwersten Gang oder 30 Zähne im leichtesten Gang. Unser Ausstatter Shimano bringt also elf Gänge pro Scheibe mit sich - als insgesamt 22 Gänge.

Das erste Rad ist mein Wettkampfrad von Merida, mit dem ich ja das Rennen bestreite. Es kostet in etwa 10.000 Euro. Nach jeder Saison werden die Räder zu einem günstigen Preis verkauft. Es gibt aber natürlich jeden Tag ein Update hinsichtlich Laufrad und Gangwahl. Das zweite und dritte Rad ist immer auf dem Teamauto befestigt. Das vierte Rad bleibt vorerst im Truck und kommt erst im Fall der Fälle zum Einsatz. Etwa, wenn es zu gröberen Materialschäden etwa infolge von Stürzen oder Defekten kommt. Weil es aber extrem lange dauert, so ein Rad komplett aufzubauen, haben die meisten ein viertes, fertiges Rad bereits mit.

5. Etappe: Change - Laval. Marco Haller auf seine Merida-Zeitfahrmaschine
5. Etappe: Change - Laval. Marco Haller auf seine Merida-Zeitfahrmaschine © (c) imago images/Sirotti (Fotoreporter Sirotti Stefano via www.imago-images.de)

Das Rennrad ist ungefähr sieben Kilogramm leicht. Meine heutige Zeitfahrmaschine wiegt einen guten Kilo mehr, bringt aber aerodynamische Vorteile mit sich, wie etwa ein Scheibenrad hinten oder zusätzlich einen Zeitfahrlenker, um sich aufzustützen. Damit lässt sich die aerodynamische Position besser halten. Auch die Übersetzung wird härter bzw. länger gewählt. Mit einer Kurbelumdrehung bewältigt man einen längeren Weg, weil auch die Durchschnittsgeschwindigkeiten höher sind. Ich habe mich heute für 58 Zähne vorne und für den klassischen 11/28er-Kassette entschieden - das nur für die absoluten Nerds.

Meine Ersatz-Rennräder sind an einem normalen Tag übrigens auf zwei unterschiedlichen Betreuerautos platziert. Damit im Fall der Fälle nicht auf das eine Auto gewartet werden muss. Es muss exakt auf mich eingestellt sein, weil wir Profis ja sehr sensibel sind, was Sitzposition und dergleichen anbelangt.

29. Juni, Tag 4: Wir mussten ein Zeichen setzen

Ich will als Radprofi ja eigentlich nicht in die Politikerrolle gedrängt werden, nicht am Start stehen und mich mit möglichen Streiks befassen. Aber klar ist auch, dass wir Fahrer ein Zeichen setzen mussten: Solche Etappen und Stürze wie am Montag, das geht nicht spurlos an uns vorüber. Einigen Fahrern wurde die gesamte Saison ruiniert, und alles durch so ein Finale, eine enge, abschüssige Straße mit Hindernissen. Es wäre wichtig, dass wir auf Hauptstraßen in einen Zielort kommen.

Das Problem bleibt, dass alles, was den Straßenverkehr sicherer macht – also Temposchwellen, Kreisverkehre, Verkehrsinseln –, den Radsport gefährlicher macht. Der Veranstalter will sich aus der Verantwortung drücken und sagt, dass wir, die Fahrer, das Rennen machen. Das stimmt schon. Aber: Es ist die erste Woche der Tour. Alle sind nervös, der Druck ist enorm. Sponsoren fordern Erfolge, der Veranstalter eine tolle Show, viele fahren um Verträge – und jeder will in die erste Reihe, keiner kann zurückziehen. Man muss also Lösungen finden.

Nach Rad und Bett der von mir derzeit meist besuchte Platz
Nach Rad und Bett der von mir derzeit meist besuchte Platz © KK/Haller

Mir wäre es am liebsten, es gäbe eine Art Fahrervertreter, der mit den Veranstaltern ein halbes Jahr vor der Tour das Finale jeder Etappe designt, um alles sicherer zu machen. Denn: Es ist wohl im Sinne aller, dass es nicht noch mehr schwere Stürze gibt; die Knochenbrüche bisher reichen ja. Deshalb wurde die ganze Nacht diskutiert, was wir Fahrer für ein Zeichen setzen. Es war der Streik. Ich hoffe, man hört uns.

28. Juni, Tag 3: Schon wieder viele, viele Stürze

Man kann es gar nicht anders sagen: Es war ein absolutes Chaos, das sich abgespielt hat. Es gab wieder viele, viele Stürze und alles hat begonnen mit einem Sturz, an dem mein Teamkollege Fred White und auch der Tour-Favorit Geraint Thomas beteiligt war. Extrem enge Straßen, Fahrbahnteiler, Kreisverkehre und immer wieder Regenschauer, von demher war es schon chaotisch. Und zum Finale hin wurde die Spannung immer größer, es war die erste Chance für die Sprinter, die wollten sie auch nützen. Und weil es ein sehr technisches Finale gab, wie wir es nennen, wollten auch die Klassement-Fahrer nicht zurückstecken, keine Zeit verlieren. Das heißt, dass es einen unglaublichen Kampf um jeden Zentimeter der Straße gegeben. Irgendwann ist die Straße zu klein geworden. Es war dramatisch zu sehen, es gab kein Team, das verschont blieb. 4,2 Kilometer vor Schluss hat es auch uns getroffen.

Unser Klassement Fahrer Jack Haig kam zu Sturz. Ich war zwar gleich dort, mein Rad passt auch ihm, der Plan war, dass er sofort mit meiner Maschine weiterfahren kann. Aber es hat sich schnell herausgestellt, dass es nicht weitergehen kann. Sein Helm war gebrochen, so stark war der Schlag auf den Kopf. Und er erlitt wohl auch eine mehr oder weniger schwere Schulterverletzung, auch wenn es noch keine Diagnose gibt. Aber er musste aufgeben. An Tag drei den Kapitän zu verlieren, das ist schon ein kleines Drama, da hilft Platz fünf in der Etappe durch Sonny Colbrelli nicht. Aber momentan sind wir einfach nur geschockt.  

27. Juni, Tag 2: Ein ordentlicher Berg

Das zweite Teilstück ist absolviert. Die Stürze gestern waren uns eine Lehre und es ist einigermaßen gesittet gelaufen. Schon am Start, wenn man durchs Feld geschaut hat, war gefühlt jeder Zweite mit einem Verband unterwegs. Es hat wirklich viele getroffen. Die Ruhe war aber nur bis zur Etappenhälfte spürbar. Danach ist es genau so stressig worden, wie gestern schon. Gott sei Dank sind wir alle am Radl geblieben. Das Finale war dieses Mal auch selektiver. Die Meu de Bretange ist doch ein ordentlicher Berg und hat mit Mathieu van der Poel einen würdigen Sieger gefunden. Schon am ersten Anstieg – wir sind ja zweimal hinübergefahren – hat er gleich alle Karten auf den Tisch gelegt.

Mir persönlich geht es den Umständen entsprechend ganz gut. Die Physios und vor allem der Osteopath haben eine super Arbeit geleistet. Während der Konzentration und Anspannung unter der Etappe ist es ziemlich gut gegangen. Erst nach der Dusche im Ziel kommen die Wehwehchen wieder. Es hält sich aber in Grenzen und ich möchte nicht jammern. Da gibt es viele, die es wesentlich schlimmer erwischt hat.  

26. Juni, Tag 1: Grün ist besser als grau

Die Tour de France ist zurück. Teilweise krachend. Und gleich die erste Etappe war wirklich eine Ouvertüre, wie wir sie nur allzu gut kennen. Die Nervorsität im Peloton war hoch und das hat sich gleich in vielen Stürzen widergespiegelt. Einserseits ist es für uns Fahrer genial, dass gleich viele Zuschauer die Strecke gesäumt haben. Das sorgt für Atmosphäre. Aber: Dieser Faux-pas, wo ein Fan sein Taferl in die Kamera hält, ohne dabei aber das Rennen zu beobachten - das war der absolute Wahnsinn. Das hat einen Massensturz verursacht und ist wirklich eine Unerhörtheit.

Man muss sich die Auswirkungen vorstellen: Viele Fahrer haben monatelang auf die Tour de France hingearbeitet und traininiert. Es wurden Opfer gebracht. Und eine Dummheit macht alles zunichte. Zudem wurde viel Material heute vernichtet - abgesehen vom Blut und Schweiß, was so ein Unfall kostet.

Zu meinem Sturz: Ich bin, wie man gesehen hat, glücklicherweise im Grünen gelandet. Grün ist immer besser als grauer Asphalt. Meine Rippen haben ziemlich einiges abbekommen. Nicht wirklich vorteilhaft, wenn das auf die Atmung drückt. Ich musste gleich nach der Etappe rund eineinhalb Stunden von Osteopath und Physiotherapeut behandelt werden. Eisbeutel stehen aber genügend zur Verfügung.


Leider herrschen jetzt schon gewaltige Zeitabstände innerhalb des Feldes nach dem ersten Tag. Damit haben wir wirklich nicht gerechnet.

25. Juni 2021, T-1: Simply the Brest

"Die Tour de France ist für mich ja nichts wirklich Neues mehr. Heuer darf ich zum sechsten Mal dabei sein, aber ich bin aufgeregt wie immer. Habe ich wirklich nichts zu Hause vergessen? Eine Premiere für mich ist hingegen, dass ich Ihnen mittels Tagebuch hoffentlich interessante Impressionen abseits der TV-Kameras von den 3414,4 Kilometern quer durch Frankreich schildern darf. Bestenfalls bis nach Paris.

Heuer startet die Tour jedenfalls in Brest. Seit Mittwoch sind wir hier. Das mildere Klima der Bretagne tut uns Fahrern gut. Ein bisschen kühler als zu Hause – das kann auf den ersten Etappen schon einmal kein Nachteil sein. Auf Pomp und Trara wurde heuer bei der traditionellen Präsentation verzichtet. Schließlich befinden wir uns nach wie vor in einer Pandemie. Die Vorsichtsmaßnahmen sind hoch, ähnlich wie im vergangenen Herbst. Das ist sinnvoll, niemand will etwas aufs Spiel setzen und die Tour gefährden. Hoffentlich ist die Präsentation trotzdem gut angekommen.

Alle Mannschaften müssen eine Bubble, eine Blase bilden. Kontakt zu Außenwelt muss vermieden werden. Unser Team besteht aus dem Maximum von 30 Personen – ebenfalls eine Corona-Vorgabe. Logischerweise umfasst es acht Fahrer. Ergänzt wird es durch fünf Physiotherapeuten, einen Osteopathen, einen Arzt, einen Sportlicher Leiter, unser Management, einen Pressesprecher, einen Koch sowie einen Fahrer für den Kitchen Truck, unserem Speisewagen (wir dürfen ja nicht in den Restaurants essen). Beinahe hätte ich auf die Mechaniker vergessen, die kommen ja auch noch dazu. Es gibt ein Riesen-Team hinter dem Team. Das macht alles größer und professioneller, nichts wird dem Zufall überlassen. Trotz allem ist die Stimmung in der Mannschaft richtig lässig. Wir sind wie erwähnt breit aufgestellt ohne eine ausgewiesene Nummer Eins.

Ein wenig fehlt mir unser jüngstes Familienmitglied. Vor wenigen Wochen bereicherte eine französische Bulldogge, die auf den Namen „Wojciech“ hört bzw. hören sollte, unsere kleine Familie. Er hat uns ganz schön auf Trap gehalten.

Übrigens: Meine Leistung bei der Tour de France veröffentliche ich auch via Strava, um zu zeigen, was wir Athleten hier leisten."

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