Es entsteht beinahe der Eindruck, bei der Tour de France handelt es sich in diesem Jahr um eine slowenische Meisterschaft: Die Namen Tadej Pogačar und Primož Roglič dominieren die Vorberichterstattung zur 108. Ausgabe der wichtigsten Radrundfahrt der Welt, die am Samstag mit "le grand départ", der großen Abfahrt, in Brest eröffnet wird. Wer ein Wörtchen um den Gesamtsieg mitreden will, scheint vor allem am 22-jährigen Pogačar vorbeikommen zu müssen, der im Vorjahr seinem um neun Jahre älteren Landsmann im Zeitfahren am vorletzten Tag den sicher geglaubten Gesamtsieg noch entrissen hat.
Pogačar und Roglič wissen freilich, dass sie nicht die Einzigen sind, die das Potenzial für den Gesamtsieg haben. "Es wird nicht nur ein Kampf zwischen Tadej und mir. Es gibt 20 andere Jungs", sagt Roglič, der sich akribisch auf die Frankreich-Rundfahrt vorbereitet hat. Er hat sich jüngst für die Vorbereitung zurückgezogen, hat im Frühjahr nur fünf Rennen, dafür aber zwei Höhentrainingslager bestritten. Die slowenische Dominanz könnte Ineos brechen: Die britische Mannschaft stellt mit dem Tour-Sieger 2018, Geraint Thomas (GBR), sowie den Edelhelfern Richie Porte (AUS) und Tao Geoghegan (GBR) eine bärenstarke Mannschaft.
"Es wird in diesem Jahr nicht nur über Pogačar und Roglič gehen", sagt Marco Haller. Der Kärntner steht im Aufgebot von Bahrain-Victorious und erwartet eine ausgeglichene Rundfahrt: "Mehrere Teams haben sich breit aufgestellt, haben Sprinter und Bergfahrer im Team." Der Blick auf den Etappenplan zeigt: Sprinter und Etappenjäger werden heuer nicht zu kurz kommen, ganz im Gegensatz zum letzten Jahr, als Bergfahrer klar im Vorteil waren. Auch Frankreichs Hoffnungsträger Julian Alaphilippe (Deceuninck-Quick-Step) werden daher Außenseiterchancen eingeräumt.
Mit Patrick Konrad, Lukas Pöstlberger (beide Bora-hansgrohe) und Michael Gogl (Qhubeka Assos) nehmen drei weitere Österreicher die 21 Etappen und 3383 Kilometer in Angriff. Pöstlberger, der beim inoffiziellen Tour-Einfahren im Rahmen des Dauphine-Criteriums das Gelbe Trikot getragen hatte, schlüpft beim bayrischen Team in die Helferrolle. Auch Konrad wird den um einen Spitzenplatz in der Gesamtwertung fahrenden Wilco Kelderman (NED) vor allem in den Bergen unterstützen. Doch Konrad soll auch auf eigenen Faust fahren dürfen: "Ich werde meine Chance auf der einen oder anderen Etappe suchen. Ein Sieg ist das Traumszenario."