Warum?
Georg Preidler: Man wird im Sport nicht gezwungen, aber man hat einen enormen Leistungsdruck. Alle zwei Jahre ist ein Vertragsjahr, du hast den Druck. Habe ich nächstes Jahr noch einen Job? Du machst dir Sorgen. Du hörst, dass es alle anderen auch machen. Und irgendwann fällt dann die Hemmschwelle.
Wann ist sie bei Ihnen gefallen?
PREIDLER: Dazu kann ich noch nichts sagen, weil alles mit der Staatsanwaltschaft im Laufen ist. Aber sie ist erst vor Kurzem gefallen. Nach langem Überlegen habe ich mich zu diesem Riesenfehler und dieser Dummheit entschlossen.
Was haben Sie genau gemacht?
PREIDLER: In den vergangenen Tagen ist in den Medien so viel über Blutdoping berichtet worden und jeder weiß, was man da macht und was passiert. Ich kann nur sagen, mit dem Wissen des Betrugs im Hinterkopf zu leben, ist die Hölle. Ich weiß nicht, wie das andere aushalten. Ich musste nun an die Öffentlichkeit gehen. Ich habe das nicht mehr ausgehalten.
Aber die Entscheidung haben Sie getroffen ...
PREIDLER: Ich bin einfach dumm gewesen. Du lässt dich zu etwas verleiten. Es ist wie bei einem Hütchenspiel. Du schaust dreien zu und die gewinnen immerfort, obwohl du weißt, dass sie betrügen. Und irgendwann stehst du dort, spielst auch mit – und verspielst alles. Im Endeffekt haben Lügen immer kurze Beine und es nimmt immer ein schlimmes Ende. Aber kurzfristig gesehen denkst du nicht daran. Du siehst nur den möglichen Erfolg.
Wie sind Sie zu diesem Netzwerk gekommen? Das kann man ja nicht einfach googeln.
PREIDLER: Ich habe gute Leistungen erbracht und diese Leute sehen das. Ich habe bis dahin nie etwas gemacht, nie getrickst. Die kommen dann auf dich zu und reden dich an: „Bei der und der Rundfahrt waren alle vor dir, die was gemacht haben.“ Dann beginnst du zu überlegen. Das ist ein Prozess, du denkst: Du gibst alles, trainierst so hart, du schaust genau auf das Essen und alles und bist trotzdem nicht ganz vorne. Du bist immer der Verarschte. Doch irgendwann reicht dir das. Man hat auch in einem normalen Beruf immer Neider, aber im Spitzensport ist es noch krasser.
Sie wurden angesprochen?
PREIDLER: Ja.
Das ist dieser Zirkel mit dem deutschen Sportmediziner, der nun am Rande der Nordischen WM in Seefeld aufgeflogen ist?
PREIDLER: Ja.
Wie weit sind Sie gegangen?
PREIDLER: Nur bis zur Abnahme.
Das alleine ist schon strafbar ...
PREIDLER: Ja, das ist es. Aber selbst wenn man mit ihm nur in Kontakt ist, ist das schon ein Delikt in meinen Augen. Der ist einschlägig bekannt.
Sie wissen also gar nicht, wie es gewirkt hätte?
PREIDLER: Nein. Aber ich kann mir vorstellen, dass der Effekt groß ist.
Ihr Name wäre nun in den Ermittlungen aufgetaucht?
PREIDLER: Ich weiß nicht, wie sehr dieser Arzt alles vertuscht, verschlüsselt oder verdunkelt hat. Man bekommt keine Informationen über das System. Er ist ja auch nicht dumm und macht das schon viele Jahre. Ich hätte jetzt auch zu Hause sitzen können und warten, aber das bin ich nicht und das kann ich nicht.
Mitleid erwarten Sie keines?
PREIDLER: Kann und will ich auch nicht.
Ist dieses Geständnis jetzt ein Reinwaschen des Gewissens oder kommt es aus Überzeugung?
PREIDLER: Beides. Ich habe einen Blödsinn gemacht und will ehrlich sein. Das war der größte Fehler meines Lebens.
Wer wusste davon?
PREIDLER: Ich.
Sonst wirklich niemand in Ihrem Umfeld?
PREIDLER: Nein. Seit Kurzem wissen es ein paar Leute – im Zuge dessen, dass ich an die Öffentlichkeit wollte.
Kann man das so geheim halten?
PREIDLER: Das ist ja das Furchtbare. Dich zerreißt es innerlich. Du kannst nicht raus damit und lebst mit einem Geheimnis. Die letzten Tage waren ein Albtraum.
Was war Ihr erster Gedanke, als Sie von Seefeld erfahren haben?
PREIDLER:Ich habe das Video gesehen (Max Hauke beim Eigenblutdoping, Anm.) und habe erst erkannt, was man da anrichtet. Ich kann mich in seine Situation versetzen. Du läufst immer um den zehnten Platz herum und wirst nur verarscht. Normal sollte man sich damit zufriedengeben, das ist auch bei mir jahrelang so gewesen. Nur irgendwann bekommst du halt immer mehr Einblicke in die ganze Szene.
Rollt noch eine Lawine an?
PREIDLER: Das kann ich nicht sagen, ich kenne keine Namen. Aber ich kann es mir durchaus vorstellen. Das ist ein internationales Netzwerk.
Waren Max Hauke und Dominik Baldauf der Grund, dass Sie zur Staatsanwaltschaft gegangen sind?
PREIDLER: Ja. Aber ich hatte auch schon vorher immer Zweifel. Warum machst du es? Du liest immer nur in den Medien darüber und irgendwann wird es Realität. Dann verzweifelst du. Kannst nicht mehr schlafen, hast keinen Hunger mehr. Du hast nur eines im Fokus: immer besser und schneller werden. Das ist dein Beruf und du hast auch diesen zusätzlichen Ehrgeiz, der dich treibt. Den kannst du nicht abstellen, bis dann halt alles zusammenbricht.
Verdrängt man auch, dass man dem Sport schadet?
PREIDLER: Das blendet man aus. Man schadet dem ganzen Sport, doch das wollte ich nie. Wenn du am Wochenende mit deinen Leuten Rad fährst, ist es das Schönste. Das sind normale Leute. Da gibt es den Druck nicht, aber im Spitzensport ist das anders. Bist du verletzt, bist du weg. Bist du krank, bist du weg. Bringst du deine Leistung nicht, startest du beim nächsten Rennen nicht. Egal, in welchem Sport.
Und jetzt sind Sie so weg.
PREIDLER: Ja. Da baust du dir ein instabiles Kartenhaus auf.
Wie werden Sie das Ihrer Familie und Freunden erklären?
PREIDLER: Das ist das Schlimmste und ich weiß es noch nicht. Du enttäuscht jeden in deinem Umfeld. Zuerst bist du der große Star und dann ...
Abgesehen vom ganzen logistischen Aufwand, haben Sie das Doping selbst bezahlt?
PREIDLER: Ich habe noch nicht viel an ihn gezahlt, aber der Aufwand ist nicht hoch. Es ist automatisiert, dass man wenig Aufwand hat.
Man fährt hin?
PREIDLER: Nein. Er kommt vorbei.
In Graz?
PREIDLER: Nein. Man trifft sich auf Plätzen in deiner Umgebung, die er für richtig erachtet.
Vollservice?
PREIDLER: Kann man so sagen.
Welche Reaktionen erwarten Sie nun?
PREIDLER: Viele negative. Und dass man gesellschaftlich unten durch ist. Ich bin ein Mensch, der sich gerne zurückzieht. Das werde ich auch weiter so machen.
Die Dopingsperre dauert vier Jahre, die Karriere ist vorbei ...
PREIDLER: Das ist sie so oder so. Wie ich das in den Medien gelesen habe, wusste ich, dass ich mit Spitzensport nichts mehr zu tun haben will. Es war nie mein Ziel, Profi zu werden. Das ist gewachsen, bis man irgendwann ganz tief wo reinschlittert.
Was haben Sie früher über Dopingsünder gedacht?
PREIDLER: Das Gleiche wie alle. Nur irgendwann fängst du an, dich zu wundern. Klar, es dopen nicht alle, aber die nächsten Wochen werden zeigen, was los ist.
Waren Ihre Erfolge sauber?
PREIDLER: Ja. Und auf die bin ich auch stolz. Aber genau dadurch werden solche Typen auf dich aufmerksam.
Sie wollten also mehr?
PREIDLER: Es fehlte immer ein Alzerl nach ganz oben. Es muss alles zusammenpassen und bei manchen passt so oft alles zusammen.
Das ist aber keine Ausrede ...
PREIDLER: Absolut nicht. Es ist einfach nur dumm, wenn man so gierig ist und mehr will. Man muss sich einfach mit dem zufriedengeben, was man hat.
Wird man sich der Folgen erst später bewusst?
PREIDLER: Sicher. Man ist in einem Tunnel und denkt, dass einem das nicht passiert. „Der macht das.“ Er gibt dir so eine Sicherheit.
Fühlen Sie sich als Betrüger?
PREIDLER: Ja. Ich hatte betrügerische Absichten oder Gedanken. Ich fühle mich aber nicht als Verbrecher. Ich habe ja keinen Bankraub verübt. Es werden alle abgestempelt als Schwerstverbrecher, dabei sind das alles arme Teufel, die da reingerutscht sind. Es soll keiner bemitleidet werden. Jeder kennt die Spielregeln. Aber dass sich dann Leute hinstellen, die ganz oben sitzen und auf die Kleinen in der untersten Kette drücken ... Man sagt, dass der Fisch beim Kopf zum Stinken anfängt und in jedem Sport, egal wo man hinschaut, gibt es Funktionäre, die Dreck am Stecken haben. Warum halten sich die da oben? Die Jugend, die nachkommt, ist super. Die ist nicht versaut. Das, was oben herumschwimmt, versaut den Rest. Das ist das Problem.
Möchten Sie noch etwas loswerden?
PREIDLER: Ich möchte mich bei jedem entschuldigen, der sich verletzt oder betrogen fühlt. Bei jedem, der zu mir aufgeschaut hat. Es tut mir leid. Mehr als entschuldigen kann ich mich nicht.