Es war nicht das Jahr des Bernhard Eisel. Österreich längstdienender Rad-Profi und Rekord-Tour-de-France-Teilnehmer stürzte im März bei der Fernfahrt Tirreno-Adriatico; unglücklich. Der Steirer, seit Jahren in Klagenfurt wohnhaft wurde beinahe von einem Betreuerauto überfahren und knallte praktisch ohne Abwehrbewegung mit dem Kopf auf den Asphalt. Die Sache schien mit geplatzter Lippe und Nasenbeinbruch aber glimpflich ausgegangen zu sein. Wochen später aber verstärkten sich die Kopfschmerzen – wie sich herausstellte, aufgrund eines Blutgerinnsels im Gehirn. Zum Start der Rad-WM erzählt Eisel, wie er die dramatischen Stunden damals selbst erlebt hat. Und wie es nun weitergeht.

Erzählen Sie uns kurz, wie sich die Sache damals angefühlt hat?

BERNHARD EISEL: Ich dachte, dass alles überstanden ist. Aber in der Woche, bevor ich dann im Krankenhaus gelandet bin, hatte ich verstärkt Kopfschmerzen, aber alles auf Allergien geschoben. Bis ich dann doch ins Altis-Zentrum in Klagenfurt gegangen bin und dort erklärt habe, wie grausam der Schmerz ist. Und die haben mich dann zum MRT geschickt. Als ich dort fragen wollte, ob ich auf den Befund warten soll, war die Antwort: Einen Moment, die sind schon alle da. Und ich hab fünf Ärzte gesehen, die vor meinen Bildern diskutiert haben. Da wusste ich: Allergie war es wohl doch keine. . .

Bernd Eisel nach dem Sturz in Italien vor dem Rücktransport in die Heimat
Bernd Eisel nach dem Sturz in Italien vor dem Rücktransport in die Heimat © Privat

Es war schlimmer, ja. Was passierte dann?

Dann bin ich fast direkt in die Uniklinik in Klagenfurt. Es war Freitag, ich musste aber bis Montag warten. Und gegen Sonntag war ich dann selbst am Ende, hab‘ nicht mehr viel mitbekommen. Das Gehirn hat die Bilder vom Auge nicht mehr richtig zusammengesetzt, der Kopfschmerz war stark bis zum Erbrechen. Ehrlich: Wenn die mir am Montag den Schädel nicht aufgebohrt hätten, hätte ich es mit einem Akkubohrer wohl selbst gemacht.

Sie hatten also keine Angst vor der Operation?

Nein, ich bin in der glücklichen Lage, dass ich den Ärzten und ihren Diagnosen vertraue, widerspruchslos. Und die sagten mir: Es ist nur ein kleines Bohrloch, dann sollte es erledigt sein. Woran ich aber dachte war, dass ich zwei, drei Tage zuvor, als ich mit Marco Haller trainiert habe, nur zwei, drei Zentimeter von dem Auto verfehlt worden bin, dass ihn abgeschossen hat. Und kurz davor hatte ich einen Defekt am Vorderrad, konnte nur mit Mühe einen Sturz vermeiden. Und in beiden Fällen ist klar: Wenn was passiert wäre, hätte ich das mit einer Gehirnblutung wohl nicht überlebt.

Klingt fast ein wenig nach Schicksal. Glauben Sie an so etwas?

Ja, irgendwie schon. Es scheint, als ob meine Zeit einfach noch nicht gekommen war.

Das erste Aufwachen nach der OP? Wie war das?

Da war alles weg, die ganzen Schmerzen. Und ich hatte auch keine Nebenwirkungen. Die Ärzte meinten, dass ich Lähmungserscheinungen haben müsste, im rechten Bein, der rechten Hand. Aber da war nichts. Auch die Ärzte waren überrascht, wie viel trainierte Spitzensportler offenbar überspielen können. Und Sprachverlust hatte ich auch nie, das wäre wohl ein Problem für mich gewesen. Ich war deswegen vielleicht ein bisschen zu schnell.

Inwiefern?

Ich habe mit dem ärztlichen Leiter gesprochen, wann ich wieder Rennen fahren darf. Ich hab sogar daran geglaubt, dass ich es noch zur Tour de France schaffen kann. Aber es hieß warten. Bei einer Hämatom-Entfernung bleibt praktisch immer etwas zurück, auch bei mir war es so ein zwei bis drei Millimeter großes Teil. Und langsam habe ich schon mitbekommen, dass es ein gravierender Eingriff war.

Wie gravierend?

Wenn ich an die Schwellung des Hirns denke, das war bei mir acht Millimeter aus der Mitte. Dazu kommt, dass man nach der OP erhöhtes Epilepsie-Risiko hat. Ich fühlte mich zwar gut, aber da war dann doch die Angst. Wenn man dann wieder Kopfweh hat, Schwindel, wenn Wörter plötzlich weg sind. Da wird es ungemütlich. Und man stellt Fragen.

Welche Fragen kommen da in den Sinn?

Na ja, ob man zu viel gemacht hat? Ob der Stress daheim doch zu groß ist, mit zwei Kindern? Solche Dinge. Das alles kommt einer kleinen Depression schon nahe. Man ist reizbar, angespannt. Ich habe dann mit Sportpsychologen gesprochen, aber auch viel mit Ärzten. Und diese Checks und Gespräche, die haben mir immer am meisten geholfen. Bis geklärt war, dass ich auch draußen radeln darf. Auch wenn immer einer dabei war, der wusste, was zu tun ist, wenn ich doch einen epileptischen Anfall bekomme. Aber man fragt sich schon: Zahlt sich das aus? Warum tut man sich das an? Ist das Risiko nicht doch zu hoch?

Offenbar sind Sie zum Entschluss gelangt, dass dem nicht so ist. Sie fahren noch.

Ja, aber auch das war schwierig. Schon nach dem ersten Sturz, der so ähnlich war wie einer, den ich mit 19 Jahren hatte. Du fährst dann ohne Risiko. Und ich bin auch nach der OP gleich zwei Mal abgestiegen, ich konnte nicht. In England war es nass, die Straßen eng, da wollte ich nur raus aus dem Feld. Aber dann, in Polen und beim Arctic Race, da hat es wieder Spaß gemacht. Und dann habe ich auch noch Extratests in Hamburg auf der Uniklinik gemacht – da war dann klar: Es passt wieder alles. Bis dahin war mir klar: Wenn einer der Ärzte sagt, dass ich nicht mehr fahren sollte, hätte ich die Karriere beendet. Am selben Tag.

Und jetzt?

Na ja, schlauer bin ich durch die Sache offenbar nicht geworden, ich hab‘ nur wieder viel Erfahrung gesammelt. Und, wie gesagt, mit 37 denkst du dir schon: Brauch ich das noch? Aber dann habe ich gemerkt, dass es Spaß macht, dass ich auch mit weniger Aufwand mithalten kann. Und ich will die Saison unbedingt fertig fahren.

Nur diese Saison?

Wer weiß. . . Jetzt ist die heiße Phase, es sollte sich alles entscheiden. Ich verhandle mit zwei Teams, die Interesse haben, eines davon ist mein jetziges, Dimension Data. Noch während der WM sollte man wissen, wo die Reise hingeht. Der Plan ist, dass ich für eine Saison unterschreibe. Und dann schauen wir wieder, das wird auch davon abhängen, was Mark Cavendish macht, mit dem ich doch seit Jahren unterwegs bin.

Und der Plan abseits des Rad-Profis?

Ich hatte jetzt fünf Monate Zeit, mich damit zu beschäftigen, was ich nach der Karriere machen will. Das war hilfreich. Es gibt ein paar Dinge, die ich ausschließen kann. Klar ist, dass ich weiter im Profi-Radsport bleiben will. Aber ich denke, ich werde viele kleinere Dinge machen.

Sie sind auch Fahrersprecher – was steht da an?

Wir haben während der WM eine Sitzung, da geht es um die Zukunft. Da sitzen Veranstalter, UCI, Fahrer, Partner zusammen. Und im Moment steht eine Reform im Raum, die wir unbedingt verhindern müssen.

Warum?

Weil es nur noch 15 World-Tour-Teams geben soll, die schlechtesten drei Teams sollen absteigen müssen. Offiziell, um die zweite Liga zu stärken. Aber das wäre Wahnsinn, da gehen auf einen Schlag 200 Arbeitsplätze verloren. Und das ist nicht das geringste Problem.

Welche sehen Sie denn noch?

Kommt diese Reform, haben wir auf einem wieder alles das, wogegen wir uns zehn Jahre gewehrt haben. Auf einmal wird es dubiose Transfers zu Saisonende geben, wo Punkte eingekauft werden, um nicht abzusteigen. Auf einmal wird der Helfer als solcher, der so wichtig ist, nichts mehr wert sein. Und wenn es um diese Punkte geht, kommen mit dem Erfolgsdruck natürlich auch andere Dinge ins Spiel. Und jeder weiß, was gemeint ist. Wenn nur die Top-Plätze und Punkte wichtig sind, ist die Versuchung da, wieder nachzuhelfen, auch wenn ich da weniger Angst habe. Klar ist aber, dass die Kluft zwischen den Fahrern sehr viel größer würde. Das ist schlecht, denn der Straßenradsport ist ein Mannschaftssport, auch wenn das die wenigsten sehen. Es ist nie der Erfolg des Einzelnen. Ohne sein Team gewinnt keiner der Stars.      

Kommen wir noch einmal zu Ihnen: Warum sagen Sie nicht: Aus, das war’s?

Weil ich eben gemerkt habe, dass ich mit intensiverem, aber kürzerem Training noch mitfahren kann. Das Reisen ist eine Geschichte, klar, mit zwei Kindern. Aber ich denke mir, die sollen sich später schon daran erinnern können, dass der Papa Radrennfahrer war. Im Winter, wenn wir in Südafrika trainieren, ist die Familie dabei. So geht sich das schon aus. 

Aber ehrlich: Werden Sie den Papa auch siegen sehen?

Na ja, die Tour werde ich nicht gewinnen, so ehrlich muss man sein. Aber nehmen wir Paris – Roubaix, da kann man auch mit 40 oder 41 gewinnen. Und da habe ich auch alle Freiheiten. Klar ist aber: Wenn ich da auch nur in die Top Zehn komme, habe ich alles erreicht. Und klar ist auch: Das habe ich auch noch drauf, ich weiß was ich kann. Die Klasse habe ich nach wie vor. Auch mit einem zusätzlichen Loch im Kopf.