Die leuchtenden Farben der farbenfrohen Trikots waren in Kufstein kaum zu sehen. So wie die tief hängenden Wolken den Himmel über dem Inntal verdunkelten, so verdunkelten die Regenjacken die Embleme der Teams. Die „Tour of Austria“, sie trug am Tag nach dem tragischen Unfalltod von André Drege Trauer. An den Absperrgittern und auf der Bühne waren keine Sponsoren zu sehen, nur das Tour-Logo hing. Leise Musik kam statt dröhnenden Lärms aus den Musikboxen der Veranstaltungsbühne, als die Fahrer schweigend über den Platz rollten. „Es war der ausdrückliche Wunsch von Andrés Eltern und seines Teams, dass diese Etappe und die Tour of Austria auf dem Rad beendet werden. Diesem Wunsch kommen wir natürlich nach“, sagte Tour-Direktor Thomas Pupp in einer ergreifenden Trauerrede. In den Morgenstunden entschieden sich die Teams, Kommissäre und Organisatoren für eine Kondolenzfahrt.

An eine Fortsetzung des Rennens war nach dem tragischen Todesfall keine Sekunde gedacht worden, und dennoch waren alle Teams in Kufstein am Start. „Das ist nicht in Wort zu fassen“, sagte ein sichtlich gezeichneter Felix Großschartner, „es zeigt uns wieder, dass das Sportliche und die Ergebnisse in Wirklichkeit vollkommen im Hintergrund stehen.“ Eigentlich wollte er am Schlusstag hinauf ins Kühtai noch um den Gesamtsieg kämpfen. „Das Wichtigste ist, dass man gesund ins Ziel kommt und am Sonntag heimkommt. Man kann froh sein, dann wieder bei der Familie aufzuwachen.“ Großschartner bekam vor dem Start noch einmal das Trikot des besten Österreichers überreicht. Er nahm es ebenso kommentarlos entgegen wie sein Teamkollege, der in der Gesamtführung führende Diego Ulissi. Der Italiener wird als Sieger der 73. Rundfahrt geführt werden. Es blieb eine Randnoitz.

Mit dem Glockenschlag nahmen die Fahrer ihre Plätze am Start ein. Ganz vorne, Seite an Seite, standen die Teamkollegen des Norwegers. Dahinter, noch vor dem schweigenden Peloton, stand ein Teamwagen von Coop-Repsol. Auf dem Dachgepäckträger war ein einzelnes Rad befestigt. Es trug die Startnummer 171, die des Toten. Die Teamkollegen hatten ihre Nummern gegen seine getauscht.

Auch Jaka Primožič stieg aufs Rad. Der Slowene war in der folgenschweren Abfahrt den Glockner hinab bei Drege gewesen, als der Unfall passierte. „Es ist wirklich hart. Wir sind alle zerstört, das soll nicht passieren. Es ist schrecklich, aber ich bin froh, dass wir jetzt hier für ihn fahren, um an ihn zu denken.“ Die beiden waren mit hoher Geschwindigkeit und bei Wind unterwegs, als sich der Unfall ereignete. „Wir alle wissen, dass Abfahrten im Radsport immer gefährlich sind. André ist ohne ersichtlichen Grund gestürzt. Er flog über den Lenker und fiel neben die Straße. Es war ein fürchterlicher Sturz. Ich habe sofort versucht, Hilfe zu finden, denn wir waren allein. Eine Kurve später verständigte er die Rettungskräfte. An eine Umkehr sei nicht zu denken gewesen, sagt er. „Ich wusste, dass uns eine Gruppe folgt. Wenn ich umdrehe, kann ich noch einen Sturz verursachen. Das ist beim Radfahren sehr gefährlich, vor allem bei so hohem Tempo.“ Nach einer Schweigeminute setzte sich das Feld unter verhaltenem Applaus für André Drege in Bewegung. Gemeinsam und in Gedenken an André Drege wurde eine kleine Runde durch Kufstein gedreht, bevor die Fahrer in die Fahrzeuge ihrer Teams stiegen und sich auf den Weg nach Innsbruck machten.

In Tulfes, wo eigentlich die erste Bergwertung des Schlusstages geplant war, begann die eigentliche Kondulenzfahrt. Zehn Kilometer rollte das geschlossene Feld bis zur Talstation der Patscherkofelbahn in Igls. „So zu fahren ist eine schöne Idee, ihn so zu würdigen“, sagte Großschartner, „ein Rennen zu fahren, wäre für mich unmöglich gewesen und so kann man das auch gemeinsam verarbeiten. Es ist besser, als einfach nach Hause zu fahren, als wäre nichts passiert.“ Indes waren die Eltern von Drege nach München geflogen und mit Polizeieskorte nach Innsbruck geleitet. Der Vater des 25-Jährigen griff sogar zum Mikrofon und sprach wie der Teamchef des Coop-Repsol-Teams ein paar Worte. „Andre hätte es so gewollt“, sagte der Vater zur Kondolenzfahrt, „Radfahren war alles für ihn, seine große Passion. Trotz dieser Tragödie ist es gut zu sehen, dass die Radcommunity zusammensteht.“