Die Euphorie verstummte. Erst war es laut gewesen in Kals am Großglockner. Da, als der Italiener Filippo Ganna die Königsetappe der „Tour of Austria“ über den Großglockner für sich entschied. Die Zuschauer schlugen auf die Bande, peitschten auch die Nachfolgenden über die letzten Meter ins Ziel, während sich die Besten für die Siegerehrung frisch machten und umzogen. Doch dann wurde es im Bergsteigerdorf zusehends leiser, die Siegerehrung plötzlich abgesagt. Die Nachricht vom schweren Sturz eines Fahrers auf der vierten Etappe verbreitete sich rasend schnell. Erst war es nur ein Gerücht, dann bittere Gewissheit. Der schlimmste anzunehmende Fall ist eingetreten: Ein Fahrer ist verstorben. Der Norweger André Drege, 25 Jahre jung, erlag nach einem Rennunfall seinen schweren Verletzungen. Was ein weiterer Jubeltag im heimischen Radsport hätte werden sollte, wurde zu einem der schwärzesten Tage der Österreich-Rundfahrt, die allerdings nicht den ersten tödlichen Unfall zu beklagen hat.
Stille und Trauer lagen wie ein schwerer Schleier über dem Tross der „Tour of Austria“ und den Zuschauern. Die 20 Teamchefs wurden im Gemeindehaus „de Calce“ – unter diesem Namen wurde der Ort am 19. August 1197 erstmals urkundlich erwähnt – mit den Kommissaren des Weltverbandes UCI von der Organisation versammelt. Die Eltern des Norwegers wurden über die Tragödie informiert, während die ersten Teamfahrzeuge im Schritttempo Kals verließen.
In den Gesichtern, die aus den Bussen und Autos blickten, spiegelte sich die allgegenwärtige Betroffenheit wider. Die Wege einiger Fahrer haben sich mit denen des Norwegers schon lange vor der Tour gekreuzt. Mit Jayco ist auch jenes Team am Start, für das der Norweger in der kommenden Saison wohl gefahren wäre. Nicht nur seine Teamkollegen und Betreuer kannten Drege. Die Mitglieder des Teams Coop - Repsol wurden vom Kriseninterventionsteam betreut, auch in der nahe gelegenen Kirche fanden Betroffene einen Zufluchtsort in ihrer Trauer.
Ob die Tour of Austria heute in Kufstein weiterrollt und ihr geplantes Ende in Kühtai findet, oder abgebrochen wird, wird erst am Morgen in einer Besprechung entschieden. Im Vorjahr wurde nach dem tödlichen Unfall des Schweizers Gino Mäder im Rahmen der Tour de Suisse die folgende Etappe verkürzt und neutralisiert in seinem Gedenken gefahren. Der Beschluss bei der Tour of Austria über das weitere Vorgehen werde gemeinsam gefasst, erklärt Tour-Direktor Thomas Pupp. Auch die Eltern des Verunglückten und sein Team werden befragt, wie es weitergehen soll. Der Vater trat kurz nach dem Gespräch seine schwerste Reise an – die nach Österreich, um den Sohn in die Heimat zu überführen.
Als Teil der Spitzengruppe war der Norweger auf der Königsetappe noch in den Anstieg des Großglockners gegangen. Er unterhielt sich noch mit seinen Fluchtgefährten, während sich der Berg vor ihnen auftürmte. Irgendwann riss er ab und fuhr als einer der zersprengten Verfolger noch vor dem Hauptfeld zuerst über das Fuscher Törl, passierte dann das Hochtor, mit 2495 Metern Seehöhe das Dach der Tour of Austria.
In der langen Abfahrt kam es dann jedoch zu dem folgenschweren Rennunfall. Ob der Sturz, der sich vor dem Kreisverkehr Guttal zur Abzweigung Franz-Josefs-Höhe und Heiligenblut zugetragen hat, durch einen technischen Defekt oder einen Fahrfehler ausgelöst wurde, ist Gegenstand der behördlichen Ermittlungen. Fahrer, die sich zum Zeitpunkt des tragischen Geschehens in der Nähe des 25-Jährigen aufgehalten haben, werden befragt. Die Polizei informiert, dass Drege ohne Bewusstsein von Verkehrsteilnehmern neben der Straße liegend aufgefunden wurde. Sie versuchten, zu reanimieren. Auch die rasche Ankunft eines Rettungshubschraubers konnte die Tragödie aber nicht mehr abwenden. Andre Drege, der in dieser Saison die South Aegean Tour und die Rhodos-Rundfahrt für sich entschieden hatte, verstarb noch am Unfallort.