Die größte Umstellung betrifft die Trainingszeiten: Um zwölf Uhr mittags und ab neun Uhr am Abend steht das Olympic Aquatic Stadium in Rio den heimischen Schwimmern dieser Tage zur Verfügung. Zusammen mit der Zeitumstellung war das "ein ziemlicher Kampf", gesteht Jördis Steinegger. Seit einer Woche ist die 33-jährige Grazerin in Brasilien. Davor wurde bei einem Trainingslager auf Teneriffa bereits das Training zur unüblichen Mittagszeit geprobt. Auch die Vorläufe in den einzelnen Bewerben werden zu dieser Zeit ausgetragen, unter anderem, um die Finali den Fans in den schwimmverrückten USA – 4500 Zuseher kamen dort allein zu einem Training des Olympiateams rund um Superstar Michael Phelps – zur besten Sendezeit servieren zu können.
Für Steinegger sind es bereits die dritten Olympischen Spiele. "Beim ersten Mal in Peking 2008 war alles neu, ich unbekümmert und die Leistung hat mit vier österreichischen Rekorden auch gestimmt", blickt sie zurück. In London vier Jahre später blieb dagegen wenig Zeit, die besondere Olympia-Atmosphäre aufzusaugen: Anreise erst kurz vor den Bewerben, Abreise gleich danach zu den Staatsmeisterschaften in der Heimat und zu hohe Erwartungen an sich selbst.
2300 Kilometer pro Jahr
Nach einem 16. Platz über 400 Meter Kraul in Peking als bisher beste Olympiaplatzierung wäre eine Wiederholung dieser Leistung in Rio über die 400 Meter Lagen eine kleine Sensation. Für Rio ist Steinegger nämlich erst über einen Nachrückplatz ins Team gerutscht. Die Anfang Juni geschwommenen 4:46,93 Minuten hätten in London für keinen Top-20-Platz gereicht.
Rio ist für Steinegger eine Art „Familienausflug“: Vier der sechs rot-weiß-roten Olympia-Schwimmer trainieren gemeinsam mit ihr in Linz bei Marco Wolf: neben Steinegger auch Lisa Zaiser, Lena Kreundl und David Brandl. Die Truppe ist auf die Mittelstrecken (100- bis 400-Meter-Disziplinen) spezialisiert. Mit elf Trainingseinheiten im Wasser und sechs in der Kraftkammer wird dort Sport in hoch dosierter Form praktiziert. Steinegger kommt so auf rund 2300 Schwimmkilometer pro Jahr.
"Es gibt zwei bis drei Trainingspläne, die je nach individueller Situation an die jeweiligen Sportler angepasst werden", sagt Wolf. Ein Erfolgsmodell: Seit Jahren dominieren die Linzerinnen rund um die zugereiste Steirerin Steinegger die heimische Schwimmszene beinahe nach Belieben. "Die interne Konkurrenz ist kein Nachteil, sie belebt das Geschäft", bestätigt Steinegger – selbst wenn die "Geschäftspartnerinnen" mittlerweile deutlich jünger sind als sie: Kreundl ist 18 Jahre alt, Zaiser feiert kurz nach Rio ihren 22. Geburtstag. "Im Alter achtet man mehr auf Regeneration, richtige Ernährung, gezieltes Kraft- und Techniktraining", vertraut Steinegger in diesem Generationenduell auf "Qualität statt sinnloses Kilometerfressen".
"Sport ist nicht alles"
Nach 23 Jahren im Leistungssport, über 100 Staatsmeistertiteln und dem Intermezzo von Hightech-Anzügen haben sich die Wertigkeiten etwas über den Beckenrand ausgeweitet: "Zu gewinnen und die Beste zu sein, ist primäres Ziel geblieben, aber mir ist mittlerweile bewusst, dass Sport nicht alles ist im Leben. Vor allem auch, weil es viel zu oft unfair abläuft und man als ehrlicher Sportler – Stichwort Doping – immer hinten nach ist." "In der gegenwärtigen Zeit ohne unerlaubte Methoden und Hilfsmittel Olympia- oder WM-Medaillen zu gewinnen, ist ein steiniger Weg", bestätigt Trainer Marco Wolf. Kämpferischer Nachsatz: "Aber ich und mein Team sind bereit, ihn zu gehen."
Klaus Höfler