Du musst weg von seiner Re. . .!“ Bamm. Weg von seiner Rechten, hat die junge Dame wohl geschrien. Soso, seine Rechte also. Und „weg“ soll ich. Bumm. Das muss jetzt seine Linke gewesen sein. Im selben Augenblick erschüttert ein neues Epizentrum des Schmerzes meinen Körper. So fühlt sich also die Kombination einer Geraden (seiner Rechten) im Gesicht und eines Leberhakens (seiner Linken) an. Der Vorteil des Schlagpotpourris: Man weiß nicht, ob Gesicht oder Leber mehr wehtut.
Dafür höre ich die junge Dame – anscheinend haben die Schläge auch mein Erinnerungsvermögen getroffen: Ich habe akut keine Ahnung, wer sie ist – laut in der Ringecke zählen: „Fünf.“
Ich sollte aufstehen, aber wozu eigentlich? „Sechs!“ Wenn dieser Mann will, prügelt er mich in 15 Sekunden in einen viermonatigen Krankenstand. Ich sollte liegen bleiben. Wie diese Ziegen, die sich tot stellen, wenn sie sich schrecken. „Sieben!“ Na gut, betrete ich halt noch einmal das Tal der Schmerzen.
Jetzt weiß ich zumindest wieder, wo ich bin: beim Boxen im Champions-Boxklub. Mein Gegenüber heißt Ara Muradjan – und der hat Spaß. Mit mir.
In den ersten beiden Runden hat er mir alle Arten von Schlägen „gezeigt“. Und fast alle haben eine Endstation: mein Gesicht. Die Jabs (Gerade) und Cross-Schläge massieren meine Nase und das Drumherum, die Haken werden auf die gesamte Fläche oberhalb der Gürtellinie verteilt. Wenigstens der Uppercut (Aufwärtshaken) bleibt mir erspart.
Im Gegenzug treffe ich im Boxklub nicht einmal Bekannte. Egal! Ich habe weitere drei Minuten ohne Knock-out überstanden. Aber nicht weil Muhammad Alis Talent in mir schlummert, sondern weil Ara mich leben lässt. Er ist gut 25 Kilogramm leichter und obwohl ich als Superschwergewicht theoretisch wesentlich mehr Masse in den Schlag bringe, bleibe ich hier völlig harmlos, wirke wie der scharfe Kontrapunkt zu Ali: Ich tänzle wie eine Biene und steche wie ein Schmetterling.
Die Dame in der blauen Ecke nimmt mir den Zahnschutz heraus, wachelt mit dem Handtuch, redet auf mich ein. Irgendwas mit „linke Hand“, „Abstand“ und „klammern“. So langsam wie zuvor die drei Minuten im Ring vergangen sind, so schnell verfliegen die 60 Sekunden Pause beiEva Voraberger. Ach ja, so heißt meine Trainerin und sie muss es wissen. Immerhin war sie Weltmeisterin. Sie stopft mir den Mundschutz wieder zwischen die Zähne: „Eine Runde noch und bleib weg von seiner Rechten.“ Ich schwöre, ich will dringender weg von seiner Rechten als ein Teenager in die Disco.
„Du kannst ruhig voll zuschlagen“, meinte Ara vor dem Kampf. Schon klar, wir boxen hier und prinzipiell ist es das Ziel, bei möglichst wenig Gegentreffern dem Gegenüber schick auf die „Zwölf“ (mitten ins Gesicht) oder den Körper zu hauen. Aber ich habe Hemmungen, den Mann zu schlagen, mit dem ich vorher gelacht habe. Meinem Innersten widerstrebt der notwendige Gewaltakt und es dauert lange, bis ich mich überwinden kann, zuzuschlagen. Als ich tatsächlich einmal eine Rechte im Halb-Bud-Spencer-Stil ins Ziel bringe, tut es mir leid. Ich entschuldige mich. Er schüttelt sich kurz, lacht. Alle lachen. Nur ich habe keine Luft mehr und überhaupt nichts zu lachen.
„Pass auf die Deckung auf“
Das hier ist Schwerstarbeit. Das ständige Tänzeln, die Schläge (ins Leere), die Anspannung, die Panik: Alles zehrt an der Energie. Beim Boxen müssen die Sinne geschärft sein, sonst geht es schnell Richtung Matte. „Pass immer auf deine Deckung auf und schaue immer, wirklich immer, den Gegner an“, hat mir Ara vor dem Kampf beim Aufwärmen geraten.
Aufwärmen heißt im Fall der Boxer: schnelle Beine, schnelle Arme, schnelles Alles, schneller Schweißausbruch. Beim Kabinengespräch wiegte ich mich (konditionell) noch in Sicherheit, nachdem wir über das Laufen gesprochen hatten. „Du kannst ihm aber nicht davonlaufen“, zerstörte Voraberger allerdings meine ausgeklügelte Primärtaktik. Stimmt, weil er richtig schnell ist. Dann hilft eben nur noch Klammern. Wie eine Klette hänge ich an ihm, denn so kann er mich nicht mehr windelweich prügeln. Die Zeit ist um. Endlich. Nun hat meine Kampfbilanz nach 14 Siegen im Kinderzimmer gegen meine kleine Schwester – drei durch K. o. –, sagen wir, ein Unentschieden dazubekommen.