In Doha war die Sensation perfekt. Der 21-jährige Deutsche Niklas Kaul holte sich mit einem überragenden Speerwurf und einem souveränen 1500-m-Lauf WM-Gold im Zehnkampf und ist neuer „König der Leichtathleten“. Aber nicht nur in Deutschland wurde gejubelt, auch im obersteirischen Kindberg sorgte der Überraschungsweltmeister bedingt durch die Zeitverschiebung zu Katar für mitternächtliche Freudensprünge.
Vor allem bei Elisabeth und Friedrich Zotter. Die pensionierten Lehrer sind die Großeltern des frischgebackenen Weltmeisters. Und Niklas’ Mutter ist in der steirischen Leichtathletikszene keine Unbekannte. Als Stefanie Zotter startete sie in den 1980er- und 1990er-Jahren für den Kapfenberger SV – und hält heute noch die steirischen Rekorde über 400 Meter und 400 m Hürden, ihrer Spezialdisziplin. 1994 war sie bei der EM in Helsinki am Start.
Nach Deutschland, konkret nach Mainz, verschlug es Stefanie Zotter 1991 im Rahmen ihres Sportwissenschaftsstudiums in Graz. Die Karl-Franzens-Universität hatte eine Partnerschaft mit der Universität Mainz – und dort wollte seine Tochter zwei Semester lang studieren, erinnert sich ihr Vater Friedrich Zotter. Sie suchte Kontakt zum dortigen Universitätssportclub, wo sie Michael Kaul, wie Stefanie ein 400-Meter-Hürden-Spezialist und Mitglied ihrer Trainingsgruppe, kennen- und lieben lernte.
Heute arbeiten Stefanie und Michael Kaul als Trainer beim USC Mainz, wo auch Sohn Niklas unter den Fittichen seiner Eltern trainiert. Und die Erfolge des 21-Jährigen können sich sehen lassen. Bei der U18-WM im Jahr 2015 holte er Silber im Speerwurf und Gold im Zehnkampf. Darüber hinaus wurde Niklas Kaul Zehnkampf-Weltmeister in der U20 sowie Europameister in der U20 und heuer im schwedischen Gävle in der U23-Klasse.
Kaul als Multitalent
Dabei hatte der sportliche Tausendsassa – er ist auch ein ausgezeichneter Skifahrer – in seiner Jugend einen ganz anderen Traum: „Als 13-Jähriger wollte er eigentlich Handball in der deutschen Nationalmannschaft spielen“, erzählt Opa Friedrich Zotter. Nachsatz: „Er hatte schon damals eine enorme Wurfkraft und war der Schrecken der Torhüter.“ Diese Wurfkraft brachte ihn schließlich zum Speerwerfen, ehe er zum Zehnkampf wechselte – und mit 17 Jahren bereits die 8000-Punkte-Marke übertraf. „Dennoch hat kein Mensch gedacht, dass er jetzt in Doha Weltmeister wird“, sagt Opa Friedrich lächelnd und ergänzt: „Wir haben nicht einmal von einer Medaille geträumt.“
Aber nicht nur im Sport, auch beim Studium eifert Niklas seinem Vater Michael, einem Physik- und Chemielehrer, nach. Er studiert in Mainz, gleich neben dem Trainingsplatz, Physik und Sport. Und so wartet auf den Weltmeister nach seiner Rückkehr gleich einmal eine Physikprüfung – und seine 13-jährige Schwester Emma, die, so Opa Friedrich, bereits Lunte gerochen hat. Auch sie hat schon Schulwettbewerbe im Mehrkampf absolviert ...
Ulf Tomaschek