Sie hatten mich gewarnt. "Schnell angehen, schnell eingehen" lautete die Formel des Grauens für den 400-Meter-Lauf, die mir Fachkundige als Alarmruf mit auf den Weg gegeben hatten. Dabei wollte ich nur eine dem Laien das Überleben sichernde Wettkampfstrategie für einen Zehnkampf einholen. Die Mahner sollten recht behalten.
Wild röchelnd geht’s aus der letzten Kurve auf die Schlussgerade. Aber statt näher zu kommen, scheint sich das Ziel immer weiter weg zu schieben. Längst sind die Krafttanks im Oberschenkel leer, läuft der Puls im roten Drehzahlbereich. Erstaunlich, wie viel Zerstörung im eigenen Körper eine Minute Vollgas anrichten kann.
Fünf Disziplinen habe ich hinter mir. Jetzt geht nix mehr!
Falsch! Die Hürden warten. Und damit die nächste Chance, zu scheitern. Nicht nur an der beachtlichen Höhe von knapp über einem Meter, mit dem sich die schwarz-weiß gestreiften Holzbalken vor einem in den Weg legen, sondern vor allem an der eigenen Koordinationsfähigkeit. Mit dem linken Bein wegspringen, das rechte nach vorne strecken, gleichzeitig das linke anwinkeln und den rechten Arm mitziehen – und sich die Hürde auch noch als Treppe vorstellen. So weit die Theorie. In der Praxis gleicht es über weite Strecken einem hysterischen Herumgehupfe mit eingestreuten Zappelschritten.
Vier Mal Olympische Spiele
Georg Werthner zaubert das Scheitern des Eleven zumindest ein Lächeln ins Gesicht. Er kennt diese ungelenken Bilder von rund 7000 Teilnehmern bei den von ihm in den letzten Jahren veranstalteten Jedermann-Zehnkämpfen. Werthner selbst sprintete einst in 14,81 Sekunden über die 110 Meter Hürden. Vier Mal war der 60-jährige Linzer bei Olympischen Spielen am Start, verpasste in Moskau 1980 – trotz bestem Speerwurf aller Teilnehmer – um lächerliche 85 Punkte die Bronzemedaille, gewann dafür vier Jahre später in Los Angeles zumindest den abschließenden 1500-Meter-Lauf und kann auf eine beachtliche persönliche Bestleistung von 8224 Punkten verweisen. Heute ist er als Trainer erfolgreich: Drei WM- bzw. EM-Medaillen konnten seine Schützlinge in den letzten zehn Tagen gewinnen. Jetzt aber droht dem peniblen Instruktor eine Pleite. Seine Anleitungen für einen technisch korrekten Diskuswurf zerbröseln an der Wirklichkeit – an mir.
Stemmbein, Hüfte, Drehmoment
Sieht ja nicht so schwer aus, was sich die alten Griechen zur Körperertüchtigung haben einfallen lassen. Ist es aber. Und hört sich auch so an: Den Diskus unter der Handfläche führen, sagt Werthner. Die Rotation über das letzte Glied des Zeigefingers einleiten, sagt er. Die Kraft über das Stemmbein in die nach vorne schiebende Hüfte bringen, sagt er. Und das Drehmoment über den die Schulterachse verlängernden Arm nützen, sagt er. Blick dabei dahin, anderen Arm dorthin. Die alten Griechen hätten beim Ouzo bleiben sollen . . .
Viel Bemühen, ein Erfolg
Dabei wird es nach dem Scheibenkreiseln erst richtig kompliziert. Stabhochsprung: Während sich Topathleten mit ihren kohlefaserverstärkten Kunststoffstangen elegant in Dachgeschoßhöhe eines Einfamilienhauses katapultieren, bleibe ich auf Türstockniveau hängen. So souverän das Anpassen der Griffhöhe (Greifhöhe plus Unterarmlänge plus zwei Fäuste) zwischen Daumen und Zeigefinger gelingt, so schnell verpufft die Energie irgendwo zwischen Einstichkasten und Latte, statt sich "in den Stab zu laden" (Werthner).
Könige der Leichtathleten
Auch beim Speerwerfen scheint sich die Energie nicht an die vorgesehenen Entladungswege zu halten. Wie beim Kugelstoßen, Hoch- und Weitsprung verirrt sich all meine mühsam zusammengekratzte Kraft im Abstimmungswirrwarr der Arm- und Beinbewegungen.
Nicht umsonst werden die Zehnkämpfer ehrfurchtsvoll "Könige der Leichtathleten" genannt. Mehr Vielseitigkeit geht nicht. Man braucht die Artistik eines Kunstturners, die Wurfkraft eines Football-Quarterbacks, die Schnellkraft eines Sprinters und die Ausdauer eines Marathonläufers. Dank Letzterem wird der abschließende 1500-Meter-Lauf zu einem versöhnlichen Ende. Es gelingt die im Vergleich zu den Profis mit Abstand beste Leistung. Davor? Neun Mal bemüht.
Klaus Höfler