An und für sich war Victoria Hudson schon ganz auf China ausgerichtet, auf den Start in ihre Saison beim Diamond-League-Meeting in Suzhou. Am Mittwoch sollte die Abreise erfolgen. Sollte. Denn aufgrund einer Nebenhöhlenentzündung wackelt der Plan bedenklich. Geht es nach Trainer und ÖFV-Sportdirektor Gregor Högler, wird der lange Flug gestrichen, um die Saison nicht in Gefahr zu bringen. Denn ganz oben steht nicht die Diamond League, sondern die Saisonhöhepunkte Europameisterschaft im Juni in Rom und natürlich die Olympischen Spiele 2024 in Paris.
Hudson würde sich der Entscheidung des „Chefs“ natürlich beugen, so groß die Lust auch wäre, endlich zu starten. Und auch zu testen, wie sich die Umstellung des Trainings ausgewirkt hat. Und die war im ersten „vollen Jahr“ der Zusammenarbeit mit Högler doch beträchtlich. Im Dezember 2023 war Österreichs beste Speerwerferin zurück in die Heimat gekommen und hatte bei Högler angedockt, seither arbeitet sie auch gemeinsam mit Diskus-Ass Lukas Weißhaidinger. Im Vorjahr überraschte sie bereits mit WM-Platz fünf als zweitbeste Europäerin und Bronze bei den European Games, aktuell ist sie Vierte der Weltrangliste. Und die 27-Jährige weiß selbst ganz genau: „Das ist die wichtigste Saison für mich.“ Eine mit eben zwei Höhepunkten, denn: „Die EM und Olympia liegen zeitlich so weit auseinander, dass man beides als Höhepunkt ansteuern kann. Daher wird die EM für mich nicht einfach nur Vorbereitung sein.“ Und doch hat sie selbst die Hoffnung auf den anstrengenden China-Trip nicht aufgegeben: „Ich fühle mich besser, als das alles klingt. Ich habe mich total darauf gefreut, ich bin noch optimistisch.“
Mit „männlichem Zugang“ noch besser werden
Für diese Saison hat Gregor Högler wieder einiges geändert. Und will seine Paradeathletin „männlicher“ werden lassen. „Wir gehen in Richtung Männertechnik“, sagt er und fügt erklärend hinzu: „Es ist auch im Diskus so, dass die Männer eine bessere, stabilere Technik haben. Das liegt daran, dass du ein größeres Kraftpotenzial brauchst. Und unser Ziel ist, dass Vicky genau dort hinkommt“, sagt Högler. Das Ziel: Die Anlaufgeschwindigkeit erhöhen, dann noch explosiver abwerfen – für mehr Weite, logischerweise. „Das Kraftpotenzial ist schon da, das Gefühl für den Wurf entwickelt sich im Normalfall über den Sommer und die Wettkämpfe, über viel schnelle, explosive Würfe“, sagt Hudson dazu.
Alles ist darauf ausgerichtet, bei den Großereignissen auch zu liefern. „Am Tag X muss ich meine beste Leistung erbringen können, das hoffen sicher auch alle anderen Speerwerferinnen. Ich war bei der WM zweitbeste Europäerin, das möchte ich mit in die Saison nehmen. Wir haben intensiver trainiert. Es liegt in der Luft, dass es eine Olympiasaison ist. Es ist eine andere Energie da.“
Sie habe mehr Sicherheit bekommen, die WM habe einiges mit ihr gemacht. „Ich nehme es als Ehre, dass ich diese Erwartungshaltung an mich selbst und von allen anderen haben darf.“ Denn freilich habe sich ihre Erwartungshaltung verändert. „Ich orientiere mich nicht nach unten, sondern nach vorne und nach oben. Ich erhoffe mir bei Olympia einen Platz, der besser ist als der fünfte bei der WM. Und bei der EM wäre es ein Traum, in die Medaillenränge zu kommen, das traue ich mir durchaus zu.“
„Wir wollen immer die Besten sein“
Für Högler, der mit Diskuswerfer Lukas Weißhaidinger einen zweiten österreichischen Spitzenathleten betreut und dessen Aufwand sich fast verdoppelt hat („Im Verband ziehen wir alle an einem Strang, da jammert keiner“), geht alles in die richtige Richtung. „Wir haben einen gemeinsamen Nenner, wir wollen immer die Besten sein, das verbindet uns.“ Hudson lerne auch viel von Weißhaidinger und generell. „Man muss lernen, dass wenn die Vorbereitung härter wird, es länger dauert, dass man in Form kommt. Diese Geduld muss man aufbringen. Ich sehe, wie sich Vicky entwickelt, sie ist voll dabei.“
Am Saisonbeginn wird Hudson wie gewohnt den lilafarbenen Speer werfen, der weicher ist. Im Laufe der Saison und für Olympia ist auch der Einsatz des gelben - mit Carbon durchzogen und härter - möglich. „Der Härtegrad entscheidet, wie sehr der Speer Fehler in der Technik verzeiht. Wenn ich nicht in der perfekten Linie abwerfe, würde das bei einem harten Speer bedeuten, dass er nicht so weit fliegt. Bei einem weichen werden durch Schwingungen Fehler verziehen.“