So hatte sich Österreichs Handball-Nationalteam der Frauen die Rückkehr auf die WM-Bühne nicht vorgestellt. Unmittelbar vor der Reise zur Endrunde nach Spanien müssen drei Personen - darunter Teamchef Herbert Müller - in die Corona-Quarantäne. Neben Müller sind davon dessen Co-Trainer Erwin Gierlinger und Legionärin Katarina Pandza betroffen. Der Bruder des Teamchefs und Nachwuchs-Teamtrainer, Helfried Müller, springt vorerst als Ersatz ein, teilte der ÖHB am Dienstag mit.
"Als wir über die positiven Testergebnisse informiert wurden, sind wir aus allen Wolken gefallen. Seit Wochen haben wir versucht, die sicherste Umgebung für die Mannschaft zu schaffen", erklärte Bernd Rabenseifner, der Generalsekretär des Verbands. "Dass trotz PCR-Tests vor Anreise, Bubble-Konzept, 100 Prozent Impfquote und mehreren zusätzlichen Covid-Tests der gesamten Delegation, am Ende der WM-Vorbereitung positive Test-Ergebnisse auftreten, ist wirklich bitter." Der gesamte weitere Tross sei, so der ÖHB, auch nach der Ankunft im Teamhotel in Torrevieja erneut negativ getestet worden.
Müller weise - als derzeit einziger des Trios - mittlerweile Symptome auf. "Ob sich Herbert Müller rasch von der Infektion erholen kann und zu einem späteren Zeitpunkt zur WM nachreisen kann, bleibt abzuwarten", teilte der Verband mit. Er stehe in ständigem Austausch mit Müller, erklärte Sportdirektor Patrick Fölser. "Alle im Team haben lange auf dieses Turnier hingearbeitet und so liegt es in unser aller Verantwortung, jetzt unbeirrt weiter alles zu investieren, um unsere Ziele zu erreichen." Helfried Müller kenne die Spielerinnen und das System sehr gut. Fölser: "Das Team ist dazu zu 100 Prozent bereit".
Auftakt am Donnerstag gegen China
Noch Stunden zuvor wollte der Langzeit-Teamchef, schon bei Österreichs bisher letztem Großereignis, der WM 2009, im Amt, keinen Druck auf sein Team aufbauen: "In dieser Gruppe kann alles passieren", sagte Herbert Müller. Das liegt weniger am Gruppe-H-Favoriten, Titelkandidaten und Gastgeber Spanien (6. Dezember), sondern vor allem Auftaktgegner China (Donnerstag, 18.00 Uhr/live ORF eins), sowie am weiteren Kontrahenten Argentinien (Samstag). Gerade mit den Chinesinnen wartet die "große Unbekannte", wie Müller bestätigte. Bedenkt man den Modus, bei dem sich die Top drei jeder der acht Vierergruppen für die Hauptrunde qualifizieren, klingt die Aufgabe für Rot-Weiß-Rot lösbar.
Dennoch: Auch Österreich selbst ist im gewissen Sinn eine Unbekannte. Schließlich war der einstige Dauergast - zwischen 1986 und 2009 für jede WM oder EM qualifiziert - zwölf Jahre zum Zuschauen verdammt. Oder in den Worten von Rückraumspielerin Patricia Kovacs: "90 Prozent der Mannschaft hat keine Ahnung davon, ein Großereignis zu spielen. Das ist physisch wie mental eine ganz andere Belastung." Ein Grund, warum Blazek an die in der jüngeren Vergangenheit oft an den Tag gelegte Geschlossenheit appellierte: "Auch wenn wir ein Spiel verlieren, müssen wir zusammenstehen. Was gar nicht passieren darf, ist, dass das Team in Einzelteile zerfällt."
Angeführt wird Müllers Mischung aus zehn Legionärinnen (inkl. Pandza) und sechs Hypo-NÖ-Cracks von Blazek, die mit 34 Jahren und 202 Länderspielen schon einiges erlebt hat. "Es ist meine vierte WM, aber ich bin aufgeregt wie bei der ersten", sagte die Legionärin in Diensten des Thüringer HC, ebenfalls von Müller gecoacht. Der Deutsche, seit 17 Jahren ÖHB-Teamchef, versprüht noch immer dieselbe Begeisterung wie einst. "12 Jahre (seit der letzten WM, Anm.) sind manchmal drei, vier Trainerleben", blickte er zurück. "Von damals sind nur noch Petra Blazek und Sonja Frey dabei", erinnerte er sich an die Endrunde in China, die man auf Platz zehn abschloss.
Es war das vorläufige Ende einer rund 15-jährigen Phase, in der die - u.a. aus eingebürgerten Hypo-Spielerinnen bestehende - Auswahlen Bronze bei der EM 1996 und bei der WM 1999 holten und meist als Medaillenkandidat zu den Turnieren fuhren. Aus Sicht Müllers eines der größten Probleme während der Durststrecke: "Viele Spielerinnen haben zu schnell aufgehört, wir hatten immer wieder große Lücken", resümierte Müller. Immerhin: "Wir mussten immer neue Spielerinnen einbauen. Dadurch hat sich kein Abnützungseffekt eingestellt."
Vom Status der einstigen ÖHB-Truppen ist man derzeit zwar ein gutes Stückerl entfernt, für den Hauptrundenaufstieg ist die Truppe aber in jedem Fall gut. Müller jedenfalls gab sich kämpferisch. "Es ist ein Riesenschritt, aber wir gehen nicht nur hin, um zu lernen, sondern um zu bleiben. Wir wollen definitiv in die Hauptrunde", gab der 59-Jährige an. Zugleich wolle er "nicht, dass die Mannschaft diesen Druck hat. Ich will diese Freude."
Sollte der Aufstieg gelingen, würde Österreich in Hauptrundengruppe 4 auf die Top drei von Pool G, bestehend aus Kroatien, Japan, Brasilien und Paraguay, treffen. Für Blazek und Co. geht es aber nicht zuletzt um einen wichtigen Entwicklungsschritt im Hinblick auf die Heim-EM 2024. "Die Erfahrungswerte sind unbezahlbar", betonte Müller.
Und während Österreich auf ein Weiterkommen hofft, haben sich andere den Titel als Ziel gesetzt. Am höchsten gehandelt werden Olympiasieger Frankreich, Titelverteidiger Niederlande, Europameister Norwegen, der Olympia-Zweite Russland und die Spanierinnen als WM-Zweite von 2019.