Die Spannung unter allen Fans des American Football steigt. Der Höhepunkt der Saison steht mit dem Super Bowl vor der Tür und in diesem Jahr bekommen Zuseher erneut ein packendes Duell mit spannender Vorgeschichte präsentiert. Zum Auftakt stellen wir mit den Cincinnati Bengals jenes Team vor, das die AFC im größten Einzelsportereignis der Welt repräsentiert.
Der Klub
Gegründet wurde die Franchise aus Ohio im Jahr 1967. Benannt wurden die Bengals nach dem Bengaltiger. Dementsprechend sind die Klubfarben auch Orange, Schwarz und Weiß. Ein Super-Bowl-Titel blieb bislang aus. Immerhin gelang zwei Mal der Einzug ins Endspiel, wo man jeweils gegen die San Francisco 49ers (1982 und 1989) den Kürzeren zog.
Head Coach Zac Taylor
In der NFL können sich die Dinge schnell, sehr schnell, drehen. Man braucht dazu „nur“ ein gutes Management, welches die richtigen Spieler holt und gute Coaches, die das Beste aus diesen rausholen. Mit dem Ankommen von Head Coach Zac Taylor 2019 kam der Wechsel in Cincinnati in Schwung. Zuvor lernte Taylor sein Handwerk genau unter seinem jetzigen Gegner an der Seitenlinie Sean McVay. Denn Taylor war vor seinem Wechsel der Quarterback-Coach der LA Rams, coachte noch im Super Bowl LIII gegen die New England Patriots. In seinen ersten beiden Saisonen in Ohio erntete der junge Trainer aber beträchtliche Kritik.
Nach drei Jahren als Letzter oder Vorletzter in der AFC North erwarteten die Fans eigentlich einen Aufschwung, aber in Jahr eins und zwei unter Taylor schlossen die Bengals die Saison wiederum an letzter Stelle in der Division ab. Doch das Pendel schwang in der zweiten Saison bereits in die richtige Richtung. In den beiden Offseason 2020 und 2021 holte man in der Free Agency sowie im Draft insgesamt 16 Spieler, die am Sonntag im Super Bowl als Starter gelten könnten. Für alle Unkundigen: ein NFL-Team hat 22 Starter, das heißt, dass fast die komplette Mannschaft erst seit zwei Jahren für die Bengals aufläuft. So viel zum Herumreißen des Ruders.
Die geholten Spieler in den vergangenen beiden Jahren:
- 2020 Free Agency: CB Trae Waynes, DT D.J. Reader, S Vonn Bell, G Quinton Spain
2020 Draft: QB Joe Burrow, WR Tee Higgins, LB Logan Wilson, LB Markus Bailey - 2021 Free Agency: DT B. J. Hill, DE Trey Hendrickson, CB Chidobe Awuzie, CB Mike Hilton, OT Isaiah Prince
2021 Draft: WR Ja’Maar Chase, G Jackson Carman, K Evan McPherson
Defensive
Während die First-Rounder Joe Burrow und Ja’Maar Chase die meiste Aufmerksamkeit geschenkt bekommen, hat sich vor allem die Defensive massiv verbessert. Es gibt nur wenige Spieler (u.a. Sam Hubbard, Jessie Bates III), die bereits vor 2020 in Cincinnati spielten. Der Rest ist neu gekommen. Auf die Frage, wie die Bengals es schafften, hierbei überhaupt eine Chemie reinzubekommen, beantwortete Slot-CB Mike Hilton in der Pressekonferenz am Mittwoch mit einem Lächeln: „Du willst einfach gerne mit den Jungs spielen.“ Der Ex-Steeler zeigte besonders im Playoff auf, interceptete im Spiel gegen die Titans QB Ryan Tannehill spektakulär.
Das Interessanteste an der Strategie des Bengals-Managment zum Aufbau der Defensive liegt aber insbesondere daran, dass es wirkt, als wäre es das komplette Gegenteil von derjenigen, wie es die Rams angehen. Während die Rams eher auf Star-Power setzen (Ramsey, Donald, Miller) und den Rest mit weniger starken Spielern auffüllen, haben die Bengals ein Roster, das wenig Stars hat, aber dafür auch nicht eine wirkliche Schwachstelle. Das macht es der gegnerischen Offensive aber nicht leichter - vielleicht sogar schwerer – da sie in jedem Spielzeug aufs Neue das Loch in der Verteidigung finden müssen. Und wenn das auch nur einen Augenblick zu lange dauert, könnte einer der Defensive-Linemen schon durchgebrochen sein.
Statistik-Fans haben möglicherweise schon den einen oder anderen Artikel der Webseite PFF.com gelesen. Einer handelte mal davon, ob es besser sei, eine Star-besetzte oder Allrounder-Defensive zu haben. So sehr auch Stars dominieren, gerade bei Verletzungen oder intelligenten Offensiv-Spielplänen (um diese möglichst zu vermeiden), ist eine Defensive im Allgemeinen erfolgreicher, wenn sie in der Tiefe gut ausgebaut ist. Das untermauert somit die Strategie der Bengals ... zumindest am Papier.
In der zweiten Hälfte und Overtime des AFC Championship-Spiel hielt die Bengals Defensive Patrick Mahomes und die Chiefs bei nur drei Punkten und ebneten so den Weg für die Bengals Offensive zum Ausgleich und dem anschließenden Sieg.
Quarterback Joe Burrow
Im Draft 2020 holte man an erster Stelle den Franchise-Quarterback und möglichen zukünftigen Helden Cincinnatis, QB Joe Burrow. Der Ex-LSU-Spieler zählt in seinem erst zweiten zu den wahrscheinlich beliebtesten Spielern der ganzen NFL und beweist in fast jedem Spiel, warum er auch bald in die Diskussion der besten Quarterbacks aufgenommen werden sollte. Nicht nur sein Name lässt an Hall of Fame QB Joe Montana erinnern. Der Ex-49er und mitunter beste Spieler aller Zeiten war unter einem Spitznamen bekannt: „Joe Cool“. Montana war auch unter Höchst-Drucksituationen eiskalt und konnte auch sein Team damit in den richtigen Momenten vom „Nerveln“ zum Fokussieren bringen.
Ausgerechnet gegen die Cincinnati Bengals spielten die San Francisco 49ers im Super Bowl XIII, als die Kalifornier 13:16 mit nur noch 3:20 Minuten auf der Uhr zurücklagen. Sie standen zudem an der eigenen 8-Yard-Linie, aber Montana blieb „cool”. Im Huddle wirkten einige seiner Spieler nervös. Was sagte Montana, um sie zu motivieren? “Schaut, da ist John Candy” (Anm.: kanadischer Komiker und Schauspieler) und zeigte auf die Tribüne. Seine Spieler erinnerten sich plötzlich wieder daran, Spaß am Spielen zu haben – und gewannen den Super Bowl.
Eine solche Anekdote hat Joe Burrow (noch?) nicht, aber auch er wirkt nicht so, als könnte man ihn besonders aus der Bahn werfen. Im Divisional Playoff (Anm.: Viertelfinale) sackten ihn die Titans ganze neun Mal – das war ein neuer NFL-Rekord in den Playoffs. Kein Quarterback konnte bisher sein Team zu einem Playoff-Sieg führen, wenn er mehr als sieben Mal gesackt wurde, aber Joe Burrow blieb unbeeindruckt und schaffte es mit seiner Offensive den Ball in Field-Goal Reichweite für seinen Kicker zu bringen.
Wide Receiver Ja’Maar Chase
Einen großen Anteil am Erfolg hat auch sein Rookie Ja’Maar Chase. Im Draft im vergangenen April holten sich die Bengals mit dem Wide Receiver lieber jemanden, zu dem Burrow werfen kann und verzichteten auf jemanden (namentlich: OT Penei Sewell), der Burrow beschützen könnte. Obwohl die Diskussionen schon ziemlich am Abklingen sind, halten viele Experten die Offensive Line der Bengals noch immer für DIE Schwachstelle im Team. Gerade im Sommer, also im Trainingscamp und der Preseason, war die Kritik an der Draft-Entscheidung am lautesten.
In der Zeit erregte Chase die Aufmerksamkeit, da er Probleme hatte, die Bälle zu fangen und ließ vermeintlich sichere Fänge doch fallen („Drop“). NFL Network Experte und Ex-Packers Wide Receiver James Jones erklärte das bei einer Pressekonferenz am Mittwoch im Gespräch mit der Kleinen Zeitung: „Jeder Receiver, egal wie gut er im College war, hat irgendwann Probleme mit Drops. Das ist ein mentales Problem. Du lässt einen fallen, denkst dir 'Macht nichts, den nächsten hast du!', dann lässt du den nächsten fallen und den danach und plötzlich beginnst du dich zu hinterfragen.“ Jones ergänzt, dass manche Spieler länger brauchen, um das Problem loszuwerden, andere kratzen die Kurve sofort. „Ja'Maars Glück war, dass er die Drops hatte, als die Spiele unwichtig waren und er jetzt in Form ist, wenn es darauf ankommt. Ich für meinen Teil hatte das Drop-Problem in Spielen, in denen es um was ging.“ Jones schmunzelte.
Seit dem Start der Regular Season hat Chase aber dann nichts anderes gemacht, als abzuliefern, und gewann deshalb auch völlig zurecht den Offensive-Rookie-of-the-Year-Award. Und die Bengals haben mit Chase, Tee Higgins und Tyler Boyd eine der besten Receiver-Gruppen der NFL.
Kicker Evan McPherson
Kein Rookie gewann jemals den Super Bowl MVP Award. Kurt Warner und Tom Brady gewannen diesen zwar in ihrem ersten Jahr als Starter, aber da zählten sie nicht mehr als Rookie. Sollten die Bengals gewinnen, hat Chase möglicherweise einen beträchtlichen Anteil daran und könnte den Award gewinnen. Auch ein zweiter Rookie hat Chancen – wenn auch sehr geringe, zugegebenermaßen. Der wahrscheinlich nicht zweitbeste, aber sicher zweitwertvollste Rookie im Team der Bengals ist Kicker Evan McPherson. Als einziger gedrafteter Kicker wurde er im April in Runde fünf von den Bengals geholt. Und es scheint sich auszuzahlen. Bereits in der Regular Season führte der 22-Jährige die Liga in Field Goals aus über 50 Yards an. Obwohl das eine sehr volatile Statistik ist und sich in der nächsten Saison schon wieder ändern kann, ist das für ein NFL Team unglaublich wertvoll. Wenn ein Kicker regelmäßig von der gegnerischen 40-Yard-Linie (plus 10-Yard Endzone macht 50) trifft, kann eine Offensive beruhigter spielen, da sie viel eher punkten als ein Team, das auf Biegen und Brechen weiter nach vorne kommen muss. Inklusive der Playoffs steht McPherson bei elf Field Goals aus über 50 Yards – das ist NFL Rekord.
Und gerade im Playoff drehte McPherson dann richtig auf. Über die drei Bengals-Spiele erzielte die Offensive 30 Punkte. McPherson scorte mit Field Goals und Extra Punkte 40. In allen Spielen verwertete er jeweils vier von vier Field Goal Versuchen. Diese zwölf Treffer und Fehlschuss sind die meisten eines Kickers in den Playoffs in der NFL Geschichte. Darüber hinaus erzielte sowohl gegen die Titans als auch gegen die Chiefs das spielentscheidende Field Goal. Wenn seinen Venen auch im Super Bowl eiskalt bleiben, wäre es nicht ausgeschlossen zum allerersten Mal den Super Bowl MVP Award einem Kicker zu geben.
Marco Tilli