Alleine die Tatsache, dass mit Sandro Platzgummer und Bernhard Seikovits Anfang des Jahres zwei Österreicher in Amerika unter hochprofessionellen Bedingungen trainieren durften, war eine kleine Sensation. Sie waren zwei von nur neun Football-Spielern weltweit, die die Scouts der besten Football Liga der Welt, der National Football League (NFL) von ihrem Können überzeugen durften.
Und in dieser Woche wurde aus der kleinen eine ganz große Sensation. Während Sekovits von keinem Team ausgewählt wurden, wechselt Running Back Platzgummer von den Raiders Tirol aus der Austrian Football League (AFL) zu den New York Giants in die NFL. Ohne die sonst so üblichen Zwischenstationen High School oder College. Direkt von der Amateurliga in Österreich geht es für den 23-Jährigen in die mit rund 13 Milliarden US-Dollar Jahresumsatz wertvollste Sportliga der Welt.
"In der Nacht von Samstag auf Sonntag habe ich den Anruf aus Amerika erhalten, dass ich von einem Team ausgewählt wurde", sagt Platzgummer, der die Nachricht mit beinahe stoischer Gelassenheit aufnahm. "Ich habe schon ein paar Tage zuvor ein Packerl bekommen und mir wurde mitgeteilt, dass ich es bitte noch nicht aufmachen soll. Da habe ich mir schon gedacht, dass das ein gutes Zeichen sein könnte." Am Montag, dem 27. April um 16 Uhr österreichischer Zeit war es dann so weit: Platzgummer erhielt einen Anruf von den New York Giants, seinem neuen Klub. Und dann durfte er auch das Packerl aufmachen. Inhalt: Ein Kapperl der Giants.
Markus Kuhn, ehemaliger deutscher NFL-Star der Giants und nun im Front Office des Klubs tätig, hat bereits Kontakt zu Platzgummer aufgenommen. "Die Giants sind ein sehr familiärer Klub", sagt der Österreicher, der auf den Anruf von Head Coach Joe Judge (als Special-Teams-Coordinator der New England Patriots dreifacher Super-Bowl-Sieger) oder Offensive Coordinator Jason Garrett (als Spieler zweifacher Super-Bowl-Sieger) wartet. "Irgendwie ist es noch ein komisches Gefühl, wenn sich Leute melden, die man sonst nur vom Fernsehen oder dem Internet kennt. Aber wenn die Trainer anrufen, dann werde ich hoffentlich auch gleich das Playbook zugeschickt bekommen, um die Spielzüge zu lernen."
Apropos lernen. Das fällt auf unbestimmte Zeit flach. Zumindest für sein Studium. Der Medizinstudent im achten Semester ("Ich bin bisher in der Mindeststudienzeit durchgekommen. Jetzt wird die Uni halt pausiert. Aber Football ist nicht für immer, also ist das auf jeden Fall mein Zukunftsplan.") fühlt sich nun bereit für Amerika: "In Österreich und Europa habe ich mit den Raiders alles gewonnen. Es ist aufgrund der aktuellen weltweiten Situation schwierig zu sagen, wann es tatsächlich losgeht. Aber das kann ich sowieso nicht beeinflussen, ich muss einfach ständig bereit sein."
In New York, seiner zukünftigen Heimat, war Platzgummer noch nie. "Wenn man einmal von den Zwischenstopps auf dem Flughafen absieht. Meine Freundin wird mich dann aber auch so oft es geht besuchen kommen, also bin ich nicht ganz auf mich alleine gestellt. Auch meine Familie wird zu Besuch kommen, oder ich nach Hause, wenn die Saison vorbei ist."
Denn: Platzgummers Zeit in der NFL ist sicher nicht nach einer Saison zu Ende. "Entweder überzeuge ich die Trainer und komme sowieso gleich in den Kader für die Spiele, oder ich bin im Practice Squad (Anm. Spieler, die zwar mit der Mannschaft trainieren, aber nicht spielen dürfen. Nur wenn sich Spieler aus dem aktiven Kader verletzen, werden diese durch Spieler des Practice Squad ersetzt). Dort ist für die Spieler aus dem Programm, bei dem ich Anfang des Jahres war, ein Platz reserviert. Weil der Schritt aus Europa nach Amerika schon ein großer ist, wird uns etwas Zeit gegeben."
"Ganz Football-Österreich ist stolz"
Dass Platzgummer der erste Österreicher auf einer Skill Position (Anm. Positionen, die vorwiegend für Touchdowns sorgen) in der NFL ist, erfüllt ihn mit Stolz. "Natürlich. Es ist eine große Ehre. Ganz Football-Österreich ist stolz. Ich habe viele Nachrichten bekommen. Am Anfang ist mein Handy auch abgestürzt, weil so viel los war. Ich versuche, jedem zu antworten. Meine Freundin hilft mir ein bisserl dabei, wenn es um allgemeine Fragen geht", sagt Platzgummer lachend. Auch Super-G-Weltmeisterin Nicole Schmidhofer, großer NFL-Fan, hinterlässt bei Platzgummers Instagram-Postings regelmäßig ein "Like". "Wirklich?", fragt Platzgummer, "das ist mir noch gar nicht aufgefallen. Es war seit Bekanntwerden des Wechsels einfach so viel los."
Die Konkurrenz bei den Giants ist auf der Running Back-Position groß. Saquon Barkley, seit 2018 bei den Giants, ist einer der großen Stars des Sports, wurde in seinem ersten Jahr zum "Rookie des Jahres" gekürt. "Ich freue mich, von ihm lernen zu können. Die Vorfreude ist riesengroß. Angst habe ich keine, aber ich bin bereit. Ich möchte mich ja nicht blamieren."
Die Schnelligkeit, die als Running Back essenziell ist, hat Platzgummer ja. Er ist über 60 Meter mehrfacher Tiroler Landesmeister, zudem "haben die Werte bei den Testungen gezeigt, dass ich im Vergleich zu den NFL-Werten gut abgeschnitten habe".
Zu euphorisch will Platzgummer aber nicht sein. "Ich sehe das ganze jetzt noch nicht als Accomplishment. Es ist jetzt nicht so, als hätte ich bereits alles erreicht. Ich freue mich, aber für mich geht es erst jetzt weiter. Es ist noch einiges zu tun."