Mit Ihrem Engagement kehrte der Erfolg zurück nach Judo-Österreich, es gab seit 2021 zwei Olympia- und zwei WM-Medaillen. Nun geben Sie selbst für die heute beginnende WM in Doha zwei Medaillen als Ziel aus. Wie das?
YVONNE SNIR-BÖNISCH: Die Erfolge der letzten zwei Jahre und die Medaillen, die wir heuer bei den Grand Slams gewonnen haben, sprechen für sich. Wir sind breiter aufgestellt, müssen uns nicht nur auf die Olympiamedaillengewinner Michaela Polleres und Shamil Borchashvili verlassen. Da wäre es doch traurig, wenn wir nicht höhere Ziele formulieren. Auch wenn es im Judo immer von der Tagesverfassung und auch von der Auslosung abhängt.

Man spricht in Ihrem Zusammenhang immer von der „Mutter des Erfolgs”, manche sagen auch „Judo-Mama”. Kann man als Cheftrainerin auch Mama sein?
Ich nehme das mit einem Schmunzeln. Als Frau bin ich wohl sensibler und reagiere auch anders. Logisch ist: Wir sind so viel zusammen, mehr als ein halbes Jahr, egal ob im Trainingszentrum in Linz oder in der Welt. Da entsteht Nähe und die nahe Bindung und Verbindung ist auch wichtig. Aber als Mama im klassischen Sinn sehe ich mich nicht.

Als was sehen Sie sich?
Als Trainerin natürlich. Aber in zweiter Linie auch als enge Vertraute, weil man eben vor allem im Spitzensportbereich mehr Zeit mit den Sportlerinnen und Sportlern verbringt als mit der Familie.

Und doch ist es für viele nach wie vor ungewöhnlich, dass eine Frau in einem Kampfsport Cheftrainerin ist. Ist es das noch?
Im unteren Bereich, egal ob in Deutschland oder Österreich, gibt es Frauen, die als Trainerin agieren. Als Cheftrainerin eines Nationalteams ist es nicht so häufig, das stimmt. Aber ich will an sich keine Pionierin sein, ich selbst will auch nicht im Mittelpunkt stehen. Es ist der Job, der Spaß macht. Die Tatsache, dass ich eine Frau bin, sollte mich nicht in den Vordergrund spielen.

Aber ein Vorbild sind Sie in Zeiten wie diesen schon, oder?
Ja, das definitiv. Ich finde es auch super, dass der österreichische Verband den Schritt gewagt hat, eben weil es einmalig ist, dass eine Frau der Boss ist. Das wurde auch weltweit aufgenommen, dass der ÖJV Vorreiter ist. Viele Länder versuchen, Frauen besser zu integrieren, und es ist aus meiner Sicht auch wichtig, dass Frauen dabei sind. Egal, in welcher Rolle.

Was macht den Unterschied?
Wie vorher gesagt: Der sensible Touch ist definitiv ein anderer. Ob es aber immer gut ist, mit Emotionen zu arbeiten, das ist eine andere Frage.

Wie sind Sie selbst beim Judo gelandet?
Ich konnte als Kind nur schwer zur Ruhe gebracht werden. Und mein Papa hat selbst Judo gemacht, mich dann mit sechs Jahren mitgenommen. Und ich bin dabei geblieben.

Sehr erfolgreich, Sie waren 2004 die erste deutsche Judo-Olympiasiegerin. Wie wird man im Judo erfolgreich?
Das ist für jeden anders. Bei mir war es so, dass ich meinem Traum definitiv alles untergeordnet habe, auch schon im Sportinternat in Potsdam.

Bevor Sie nach Österreich kamen, waren Sie in Israel Cheftrainerin. Kein leichtes Pflaster, vor allem, wenn es gegen Gegner aus dem Iran geht.
Zunächst: Die vier Jahre in Israel waren gut und wichtig. Der Weg sollte dann wieder nach Hause gehen, da kam das Angebot aus Österreich – und seit ich 1995 erstmals gegen Sabrina Filzmoser gekämpft habe, verbindet mich eine Freundschaft zu ihr und anderen Athlet:innen aus Österreich. Mit dem Angebot war der Wunsch da, zu kommen. Zurück nach Israel: Es sind ja nicht die Israelis, die entscheiden, nicht anzutreten – sie wollen ihre Leistung abrufen. Schade für den Sport, wenn andere Nationen ihren Athleten ein Antreten verbieten.

Wie ist Ihre Meinung dazu, dass russische Athleten in Doha dabei sind, dafür aber die Ukraine die WM boykottiert?
Jeder hat da seine Meinung, meine will ich lieber nicht kundtun. Fakt ist, dass Russland teilnehmen darf und die Ukraine daraus Konsequenzen gezogen hat. Es ist für Sportler aus beiden Nationen keine leichte Situation. Alle wollen an sich ja nur ihren sportlichen Traum leben.