Charles Ndiema ist einer der wohl charismatischsten Sieger des Graz-Marathons. Während sich viele Champions nach dem Lauf, wohl auch den Strapazen geschuldet, oft introvertiert geben, drehte der Sieger von 2019 voll auf. Mit seinem breiten Grinsen und der liebenswerten Zahnlücke zwischen den beiden oberen Schneidezähnen und dem Siegerkranz um den Hals ließ er sich vor der Oper feiern. Mit einer Zeit von 2:10:43 Stunden gewann er in Graz seinen ersten Marathon – eine persönliche Wende. „Das hat mein Leben grundlegend verändert.“ Der Erfolg brachte ihm für 2022 Profiplätze bei den renommierten Langstrecken von Wien und Frankfurt ein. Für den Kenianer bedeutete das mehr als nur Prestige. „Mit dem gewonnenen Geld konnte ich meiner Familie ein Haus bauen und meinen Kindern einen langfristigen Schulbesuch finanzieren“, sagt er.
Doch ist das finanzielle Leben eines Berufsläufers fragil. Das bekam auch Ndiema zu spüren. An der Donau verbesserte er seine Bestmarke noch auf 2:08:12 Stunden, doch nach Frankfurt wurde es hart: Gut zwei Jahre plagten ihn Verletzungen im Bereich der Hüfte und hinteren Oberschenkelmuskulatur. Es folgten diverse Therapien und auch eine komplette Zwangspause. Als guter Läufer hatte Ndiema das Glück, einen Beruf bei der Polizei zu bekommen. Jobs wie diese bringen den Sportlern 250 bis 300 Euro im Monat ein. Stimmt die Leistung nicht, ist auch der Job schnell wieder weg.
Sehr viele Frauen und Männer setzen in Afrika alles auf die Karte „Laufen“, wie Thomas Krejci weiß. Mit „run2gether“ betreibt er ein Laufcamp in Kenia, in dem hoffnungsvolle Läufer trainieren und leben können – wie auch Ndiema. „Wenn man sich ansieht, wie viele auf das Laufen setzen, schaffen es im Vergleich nur sehr wenige“, sagt der Steirer, „sehr viele scheitern, und finanziell ist es ein hartes Geschäft.“ Die Preisgelder sind nicht überall exorbitant hoch, und mehr als zwei schnelle Marathons im Jahr sind nicht vernünftig. Auch heuer werden wieder zwei Athleten von „run2gether“ am Start stehen. Einer davon ist Robert Kiplangat Yegon, der im Alter von 36 Jahren sein Marathondebüt feiert.
Für ihn ist der Sonntag wohl bereits eine der letzten Chancen, sich mit dem Laufsport abzusichern und die Weichen für künftige Einladungen zu legen. „Ich will auf mich aufmerksam machen – so wie es Charlie in Graz getan hat.“ In Wien war er im Frühling als Pacemaker im Einsatz. Die Form, sagt er, stimmt. „In Kenia wird meine gesamte Großfamilie ganz fest die Daumen drücken.“ Immerhin sorgt er nicht nur für seine Frau und Kinder, sondern auch für zahlreiche Verwandte. „Zwei meiner Töchter sind bereits in der Youth Academy des Vereins“, erzählt er stolz.
Seit 2009 engagiert sich der Verein in Kenia und Österreich, schlägt dabei eine Brücke. Dafür wurde Krejci stellvertretend als Obmann jüngst mit dem Bundesehrenzeichen der Republik von Christopher Drexler und Anton Lang ausgezeichnet. Das Camp soll nicht nur Trainingsheimat für Aktive sein, sondern auch ein sicherer Hafen nach der Karriere. So ist etwa der ehemalige Graz-Marathon-Läufer David Cheruiyot Sang als Sekretär angestellt, Stephen Ndungu Kiarie als Kassier, Paul Ndungu Muchai wurde als Masseur engagiert und der erfolgreichste Athlet des Vereins, Geoffrey Gikuni Ndungu, ist der Manager. Er gewann zweimal den Dublin-Marathon, sechsmal den Großglockner-Berglauf und auch den Weltcup.
Doch die Preisgelder locken nicht nur seriöse Manager. Zwar hat der Weltverband geregelt, dass maximal 15 Prozent der Preisgelder kassiert werden dürfen, doch treiben die Rechnungen mitunter seltsame Blüten. Jahrelang wurden bei run2gether die 15 Prozent für das Camp verwendet. Seit diesem Jahr übernimmt ein Sponsor diesen Betrag, und die Athleten behalten die volle Summe. Neben Yegon werden sein Vereinskollege Peter Wahome Murithi (Bestzeit 2:09:39)– Zweiter des Vorjahres – sowie Joel Kipsang (2:09:50) und Gilbert Kipcoech (HM: 61:16) um den Sieg und eine mögliche Rekordprämie laufen. Ein Ziel, das auch Ndiema hat. „Seit ein paar Wochen bin ich nun wieder im Training“, berichtet er, „mein größter Wunsch ist es, wieder nach Graz zu kommen. Vielleicht ja schon nächstes Jahr.“