Dass sich beim Kandidatenturnier in Toronto ein Inder durchsetzt, war – rein aus Gründen der Wahrscheinlichkeit – äußerst realistisch. Drei der acht Kandidaten, die sich in 14 Runden darum matchten, wer sich mit dem Chinesen Ding Liren, amtierender Weltmeister, später im Jahr um den Weltmeistertitel duellieren darf, kamen aus Indien. Und mit Dommaraju Gukesh setzte sich auch tatsächlich ein Inder durch. Neun Punkte aus 14 Runden bedeuteten einen halben Punkt Vorsprung auf die WM-erfahrenen Ian Nepomnjaschtschi und Fabiano Caruana sowie den routinierten US-Amerikaner Hikaru Nakamura.
Routine spielte in Toronto offenbar eine untergeordnete Rolle, Gukesh ist erst 17 Jahre alt. Wie Vishwanadan Anand, Indiens bisher einziger Weltmeister und Weltmeisterschafts-Kandidat, kommt Gukesh aus Chennai. Und Gukesh hatte gerade erst begonnen, Schach zu spielen, als sich der Norweger Magnus Carlsen 2013 in Chennai gegen Anand im Kampf um den Weltmeistertitel durchsetzte. „Ich erinnere mich, dass ich den Saal für eine der Partien besucht habe“, sagt Gukesh, damals gerade einmal sieben Jahre alt. „Es war etwas Großes. Ich hatte gerade erst angefangen, Schach zu spielen, und dann passierte so etwas Großes in meiner Heimatstadt.“ Mittlerweile hat Gukesh sein Vorbild Anand in der Wertungsliste längst überholt. An Respekt vor Anand mangelt es deshalb aber trotzdem nicht. „Wir sind in völlig anderen Phasen unserer Karrieren. Es dauert noch lange, um dahin zu gelangen, wo Anand bereits war“, sagte Gukesh.
Die Chance, der jüngste Weltmeister aller Zeiten zu werden
Jetzt spielt Gukesh selbst um den Weltmeistertitel. Wo der WM-Kampf stattfindet, steht noch nicht fest. Fakt ist aber: Das Duell zwischen Ding Liren und Gukesh ist das erste um die WM-Krone ohne europäische Beteiligung. Setzt sich Gukesh gegen den Chinesen durch, wäre er der jüngste Schach-Weltmeister der Geschichte.
„Ich kann den besten Zug alleine finden“
2018, als sich Gukesh U12-Weltmeister wurde, beendete sein Vater seine Tätigkeit als Arzt, reiste vielmehr mit seinem Sohn von Turnier zu Turnier. 2019 fehlten Gukesh 17 Tage, um der jüngste Großmeister der Schachgeschichte zu werden. 2022 besiegte er als 16-Jähriger den damals amtierenden Weltmesiter Magnus Carlsen in einer Schnellschachpartie – keinem jüngeren Spieler ist es gelungen, den Norweger zu besiegen. Gukesh ist der zweitjüngste Großmeister der Geschichte, der viertjüngste Spieler mit einer Elo-Zahl von über 2700 – und noch immer der Jüngste unter all den großen Talenten, die die Besten der Welt jagen. Was ihn von den meisten anderen Schachgenies unterscheidet?: Gukesh arbeitet kaum mit Computern und Datenbanken. „Ich kann den besten Zug alleine finden“, soll der Inder einmal gesagt haben.
Beim Kandidatenturnier der Frauen setzte sich die ChinesinTan Zhongyi durch. Sie wird gegen Landsfrau Ju Wenjun um den Weltmeistertitel spielen.