Im angloamerikanischen Sprachraum wird der Medaillenspiegel anders gereiht als hierzulande üblich. Gereiht wird nach Gesamtanzahl der Medaillen, nicht abgestuft nach Farbe derselben. Ein Schelm, wer Böses denkt, denn natürlich ist das eine Zählart, welche die Großen bevorzugt.
Zur Halbzeit der XXIV. Olympischen Winterspiele in Peking aber staunte man nicht schlecht: Denn das kleine Land Österreich steht da mit ganz oben, auch wenn Norwegen am Freitag zur Alpenrepublik aufschloss. 14 Medaillen nach 52 von 109 Bewerben, das kann was. Und das, obwohl Rot-Weiß-Rot auch in der Rangliste der vierten Plätze (der "Ledernen" oder "Blechernen"), weltweit ganz allein in Führung ist. Eine Rangliste, die dem österreichischen Wesen ja von jeher besser entspricht als die Reihung nach Erfolgen. Als Vierter ist man ganz knapp dran an den Besten, aber doch nicht wirklich dabei. Keinesfalls ist man schlecht, aber nicht gut genug. Die vierten Plätze waren von jeher Basis für den Volkssport Raunzen. Da, wo Österreich unangefochten Nummer eins ist.
Womit einer jener Punkte, auf denen der Erfolg bei diesen Spielen gründet, klar ist: Jammern oder Raunzen, das hört man aus dem österreichischen Lager so gut wie gar nicht. Trotz aller Kalamitäten im Vorfeld der Spiele, trotz aller Corona- und anderer Einschränkungen in China: Das "Olympic Team Austria" steht für gute Laune, für Zusammenhalt, für Gastfreundschaft. Auch ohne "Austria House" ist "Haus Österreich" Treffpunkt, Anlaufstelle, Wohlfühlort. Christoph Sieber, 2002 Surf-Olympiasieger und Sportdirektor des ÖOC, erklärt: "Bei anderen Teams, so hört man, wird viel gejammert. Bei uns gibt's keine negativen Worte. Auch nicht von denen, die keine Medaille um den Hals haben." Österreichs Sportler haben sich als Team, Einheit und "Energieladestation" gefunden. Ganz unösterreichisch.
Verantwortlich für den aktuellen Erfolg in Peking sind zwei Verbände – und die sind seit jeher Medaillenlieferanten: der österreichische Skiverband (ÖSV) und der österreichische Rodelverband (ÖRV), die in bisher fünf Sportarten (Ski alpin, Snowboard, Nordische Kombination, Langlauf, Rodeln) für Podestplätze sorgten. Erfolge, die beweisen: Kontinuierliche Arbeit trägt Früchte. Auch, dass es jene Verbände sind, die im letzten Jahrzehnt die Kooperation mit der Wissenschaft weiter intensiviert haben, die Erfolge fahren, überrascht nicht. Der Skiverband verfügt über eine eigene Entwicklungsabteilung. Selbst der perfekte Athlet ist ohne perfektes Material chancenlos. Auch die Sportpolitik hat, nachdem man bei Sommerspielen auf die Nase fiel, erkannt: Sport und Wissenschaft gehören verzahnt. Und diese Verzahnung gehört ebenso gefördert wie der Erfolg. Langsam, aber stetig entwickelt sich das heimische Gießkannensystem zu einer "echten" Spitzensportförderung, auch wenn noch viel getan werden muss.
Stichwort Professionalität: Der Skiverband ist auch in der Post-Schröcksnadel-Ära gut aufgestellt. Aber auch das Österreichische Olympische Komitee (ÖOC) besticht – sei es in der Organisation der (komplizierten) Abläufe dieser Spiele oder in der Basisarbeit. Die Schaffung der "Olympia-Zentren" in den Bundesländern als Trainings- und Kompetenzzentren trägt sichtbare Früchte.
Diese Zentren bündeln Sportarten und erleichtern den Austausch. Hans Knauß, ORF-Ski-Experte und selbst Olympiamedaillengewinner, bringt es auf den Punkt: "Zentren wie diese hätten wir früher auch gebraucht. Im konditionellen Aufbau braucht es keine Kleingruppen, sondern gemeinsame Arbeit zur Verbesserung." In Vorarlberg ist das augenscheinlich: Das dortige Zentrum ist Heimat vieler Medaillengewinner. Parallel dazu installierte der nun auch im ÖSV neben Roswitha Stadlober als Herr der Finanzen agierende Olympiasieger Patrick Ortlieb einen Landespräsidenten (den Steirer Walter Hlebayna), der konsequent Erfolgsstrukturen schuf und an ihnen feilt. Nicht nur im alpinen Bereich, wie die Snowboardcrosser rund um Alessandro Hämmerle beweisen.
Um sich keiner Illusion hinzugeben: Am Ende dieser Spiele wird Österreich im Medaillenspiegel sicher nicht ganz oben stehen, egal nach welcher Zählart. Aber zur Halbzeit von Rekord-Spielen wie in Turin 2006 mit 23 Medaillen träumen zu dürfen, ist schon Erfolg genug. Es ist eine Moralinjektion für die Nation in Zeiten, wo Impfung im Alltag spaltet.