Es war ein Schockmoment, als sich Kunstbahnrodler Thomas Steu im November bei einem Trainingssturz in Sotschi die linke Fußwurzel gebrochen hat. In der Regel hätte diese Art von Bruch sechs Wochen ohne jegliche Belastung ausheilen müssen. Der 27-Jährige wagte sich aber nach zwei Wochen wieder auf die Rodel. Ein Unterfangen, das mit einem hohen Risiko verbunden war. Das größte Problem lag nämlich auf der Hand: Wie funktioniert das Bremsen im Auslauf?
Es gelang – und wie! In Altenberg glückte der Comeback-Sieg. In Igls legten Steu/Koller als Erste gleich nach, bevor sie in Winterberg Zweite wurden. Den Weltcup in Sigulda ließ das Erfolgs-Duo, das 2015 in den Weltcup eingestiegen ist, aus. Stattdessen investierten sie die Zeit, um das Material zu testen. Eine Entscheidung, die sich als goldrichtig herausgestellt hat.
"Er hat ein unglaubliches Nervenkostüm"
Doch was macht die Gesamtweltcupgewinner der vergangenen Saison eigentlich aus? „Dass wir völlig unterschiedlich ticken. Thomas bringt fast nichts aus der Ruhe. Er ist ein unglaublich konsequenter Athlet, hat Nerven aus Stahl und lässt sich nie etwas anmerken. Er ist ruhig, aber wenn er etwas sagt, ist es genau auf den Punkt“, verrät Lorenz Koller, der betont, dass sein Rodelpartner ein richtiges „Trainingsviech“ ist „und ein unglaubliches Nervenkostüm“ hat. Zwei Tage nach seiner Verletzung fing Steu bereits mit Oberkörpertraining an. Der Fuß war geschient und der 27-Jährige kannte absolut kein Pardon. Koller zählt zur Kategorie „Kopfmensch“, der seine sensible Seite auch nicht versteckt. Er ist ein Hobbyphilosoph, der immer auch an jedes kleinste Detail denkt.
Quasi ziemlich beste Freunde sind Steu und Koller – ein Herz und eine Seele, die seit Jugendtagen zusammenarbeiten. „Wir haben großen Ehrgeiz, leben ihn aber sehr unterschiedlich aus. Ich glaube, genau das macht uns stark und zeichnet uns auch aus, weil wir uns super ergänzen“, sagt Steu, der erwähnt, dass Kollers große Stärke seine Akribie ist und dieser ein immenses Körpergefühl besitzt. Der Tiroler ist handwerklich geschickt, hat er doch den Sattlerberuf gelernt. Diese Fertigkeit nützte er in der ersten Lockdownphase, um für die Wirtschaftskammer Masken zu schneidern. Zudem ist Koller, dessen Vorbild übrigens Snowboardcrosser Alessandro Hämmerle ist, im Schlittenbau federführend.
Rodler sind "harte Hunde"
Im Training unterstrich das heimische Doppel mit Laufbestzeiten seine Mitfavoritenstellung für den heute beginnenden Bewerb. Der Fuß des Vorarlbergers scheint demnach „in Ordnung“ zu sein, wobei er seinen Kollegen zufolge sowieso nie raunzen würde. Rodler sind „harte Hunde“, denn in den letzten zwei Jahren musste Steu einige Tiefschläge einstecken.
An dem besagten Ort in Sigulda zog er sich einen komplizierten Waden- und Schienbeinbruch zu. Die 27 Schrauben und drei Platten konnten erst nach einem Jahr rausoperiert werden, da die Zeit dafür fehlte. Noch dazu hatte Steu das Coronavirus im ersten Sommer ziemlich erwischt. „Ich hatte einige Symptome, hatte Substanzverlust und einiges an Muskelmasse verloren.“ Doch Steu, der in seiner Heimat, der Bludenzer Rodelhochburg groß geworden ist, ließ sich nicht unterkriegen und zeigte auch nach der Rückkehr in den Eiskanal, dass er von seinem Können absolut nichts verloren hatte.
Im Eiskanal von Yanqing geht es heute (1. Durchgang um 13.20 Uhr, 2. Durchgang um 14.35 Uhr, beide ORF 1 live) um eine Medaille. Und die Strecke hat es dem Duo angetan. „Es ist die längste Kunsteisbahn der Welt und technisch sehr anspruchsvoll“, verdeutlicht Steu, der sich heute mit Edelmetall sein eigenes Geschenk zum 28. Geburtstag machen könnte.
Doppelsitzerrodler Yannick Müller (22) ist übrigens nach seinem Trainingssturz bereits operiert worden. Der Vorarlberger hatte sich einen offenen Bruch des linken Unterarms zugezogen.