Die Situation entwickelte sich schon lange bevor die Welt live dabei war. Die Deutsche Annika Schleu, im Modernen Fünfkampf der Damen in Führung, kam mit dem ihr zugelosten Pferd „Saint Boy“ nicht zurecht. Der Hengst hatte schon zuvor bei einer anderen Reiterin drei Mal verweigert, wollte nicht noch einmal in den Parcours. Doch das sieht das Regelwerk der Sportart, in dem die Sportlerinnen das Pferd aus einem Pool zugelost bekommen, nicht vor – ein Tausch war unmöglich.
Und so mühte sich die 31-jährige Schleu ab, das Pferd doch noch irgendwie in den Parcours zu bringen; und als ihr bewusst wurde, dass das sicher geglaubte Gold unmöglich war, war sie mit den Nerven am Ende. Zunächst kamen Tränen, dann der Versuch, das Pferd mit der Gerte dazu zu zwingen, zu reiten. Und weil ihre Trainerin auch noch „Hau mal richtig drauf! Hau drauf“, rief, was live im TV zu sehen war, war der Skandal perfekt.
Tierschutzvereinigungen aus aller Welt kritisierten Reiterin und Sport, vor allem auf sozialen Plattformen schlug Schleu blanker Hass entgegen. Auch das IOC forderte den Sport-Fachverband sofort auf, die Regeln zu hinterfragen, die deutsche Bundestrainerin Kim Raisner wurde überhaupt von den Spielen ausgeschlossen. „Ich wusste, dass Bilder um die Welt gehen werden, die nicht schön sein werden, aber ich hatte nicht mit so einer Art von Shitstorm oder mit so viel negativem Hass gerechnet“, meinte Schleu am Tag danach zur Deutschen Presse Agentur dpa. Und sie bestand darauf, das Tier nicht gequält zu haben: „Es war schon klar, dass man etwas konsequenter werden muss, aber ich war zu keiner Zeit grob.“
Erst vor den Kameras habe das Pferd Panik bekommen, davor, auf dem Abreitplatz, sei alles gut gelaufen, sagte Schleu, die ihren Instagram-Account deaktivierte.
Klar scheint aber, dass das System des Fünfkampfes dringend überarbeitet gehört. „Von außen betrachtet ist das System der Leihpferde nicht mehr zeitgemäß“, sagt Gerfried Puck, einer der erfolgreichsten österreichischer Springreiter. „Das Vertrauen zwischen Pferd und Reiter ist enorm wichtig und wird über Jahre aufgebaut“, betont er. Und Pferde sind sensibel, leicht aus der Ruhe zu bringen. Max Kaltenegger, steirischer Veranstalter, spricht aus, was viele dachten: „Wenn ein Pferd sich in so einem Zustand befindet, darf man mit ihm nicht mehr in den Parcours gehen.“