Eine Hundertstelsekunde entschied am Ende alles. Filippo Tortu streckte sich am schnellsten über die Ziellinie, den Hals waagrecht, die Arme weit nach hinten geworfen. Nethaneel Mitchell-Blake nahm die Niederlage verbissen zur Kenntnis. Ein ausdruckstarkes Zielfoto zeigt Italien als neuen Olympia-Sieger in der 4x100-Meter-Staffel der Männer vor Großbritannien und Kanada. Blech wurde es für China, erst dahinter fanden sich die favorisierten Jamaikaner ein.
Marcell Jacobs, Lorenzo Patta, Eseosa Desalu und Filippo Tortu krönten sich zur schnellsten Staffel der Welt und entthronten Jamaika. In 37,50 Sekunden lief das Quartett zudem nationalen Rekord. Nicht Jamaika und auch nicht die USA, sondern unsere europäischen Nachbarn stehen ganz oben. Wer hätte das im Vorfeld der Spiele gedacht?
Noch überraschender war freilich Jacobs Olympia-Gold über die 100 Meter. Der gebürtige Texaner sprintete die Konkurrenz nieder und wurde zum Nachfolger von Usain Bolt. In 9,79 Sekunden blieb er sogar eine Hundertstelsekunde unter der Zeit des Jamaikaners bei seinem letzten Triumph in Rio de Janairo 2016. Wenige Minuten zuvor sprang bereits sein Zimmerkollege Gianmarco Tamberi auf kuriose Weise ins Glück.
Ein Sommer voller Gefühle
Die Italiener kommen aus dem Feiern nicht mehr raus. Erst sang sich die italienische Rock-Band Måneskinmit "Zitti e buoni" zum Eurovision-Sieg und in viele unserer Playlists, dann wurden unsere Nachbarn auch noch Fußball-Europameister(zu hören als Podcast). Immerhin ist die ÖFB-Elf gegen den späteren Champion ausgeschieden und das macht uns quasi zum Vize-Europameister, oder?
Bei den Olympischen Spielen legten die Leichtathleten nach: Gold im Hochsprung, Gold im 100-Meter-Sprint und Gold im selbigen mit der Staffel. Die Leistungsträger feierten im Anschluss, wie es sich für echte Italiener gehört. Tamberi schmiss sich nach seiner Goldenen zu Boden und man fragte sich kurz, ob es vor Freude oder wegen einer Verletzung sei. Der anschließende Jubel mit seinem Zimmerkollegen Jacobs - kurz nachdem dieser ebenfalls zu Gold lief - kannte keine Grenzen. Es freuten sich die TV-Kameras, die Medienleute und am meisten die Italiener selbst.
Zurück zur 4x100-Meter-Staffel. Es ist die erste Medaille der Italiener in dieser Disziplin seit London 1948. Jamaika ist geschlagen, dafür holten diesmal die Frauen mit Staffel-Gold und einem Dreifachsieg über den 100-Meter-Sprint - angeführt von Elaine Thompson-Herah - die Kohlen aus dem Feuer. Auch die Jamaikanerinnen können Emotionen, wie man sieht.
Wir bleiben am Ball
Das kleine Österreich braucht sich aber keinesfalls zu verstecken. Über die 400 Meter sprintete Susanne Walli sensationell ins Halbfinale. Bei der Fußball-EM reichte es nach Platz zwei in der Gruppenphase gar fürs Achtelfinale. Die Niederlage gegen Italien schmerzt aber doch ein wenig, war der Sieg doch wenige Minuten lang zum Greifen nahe.
Österreichs Medaillen-Bilanz bei den Spielen in Tokio erfreut ebenso. Allen voran natürlich die Goldmedaille von Anna Kiesenhofer, Silber durch Michaela Polleres und die fünf Bronzemedaillen. Vielleicht sehen wir in drei Jahren in Paris sogar eine österreichische Fußball-Mannschaft am Feld, wer weiß das schon? Eine Medaille in einem der Sprintbewerbe wird aber doch etwas schwierig werden.
Lukas Bayer