Bisher hat er die Kletterwände nur von Bildern gekannt. Nach dem ersten Training am Olympiaschauplatz in Tokio freute sich Jakob Schubert über die Neigungen. "Der steile Bereich auf der rechten Seite ist größer als erwartet, da sind coole Boulder möglich. Die Leadwand hat eine normale Steilheit, aber an den Trainingsrouten hat man gesehen, dass man cool schrauben kann", sagte der Tiroler. Denn für die Premiere im Zeichen der Fünf Ringe wünscht er sich: Bitte gern schwierig!
Sicher, noch steiler wäre für Vorstiegspezialisten (Lead), wie er einer sei, besser, weil man dann die Ausdauer ausspielen könne. "Aber sie ist steil genug, um das zeigen zu können, was wir draufhaben." Der dreifache Weltmeister Schubert zählt zu den Medaillenanwärtern, er bestreitet am Dienstag seine Qualifikation, das Finale der Top acht ist für Donnerstag angesetzt. Jessica Pilz ist am Mittwoch und bei Aufstieg am Freitag im Einsatz.
Geklettert wird in der Qualifikation in der Reihenfolge Speed, Bouldern, Lead. Im Speed werden zwei Linien vorgegeben, die schnellste Zeit zählt. Im Bouldern sind vier Aufgaben in jeweils fünf Minuten zu bewältigen (Anzahl Tops/Zonen, Versuche für Tops/Zonen), im Lead zählt nach sechs Minuten die gekletterte Höhe (Griffnummer). Die Platzierungen werden multipliziert, die Top acht erreichen das Finale. Dort wird Speed im K.o.-Modus ausgetragen, im Bouldern hat man für drei je vier Minuten zur Verfügung, im Lead wieder sechs.
Für Schubert, Kombinations-Weltmeister 2018 und -Vizeweltmeister 2019, geht es damit mit seiner schlechtesten Disziplin los, denn im Speed dreht sich alles, wie der Name schon sagt, um die Schnelligkeit, in den beiden anderen um die Schwierigkeit. "Wenn es im Vorstieg läuft, bin ich immer unter den Allerbesten und habe Chancen einen Einser zu holen. Das wird wichtig, dass ich da abliefern kann." Eben zum Schluss, dann da kann man das Ergebnis nochmals auf den Kopf stellen.
Bouldern, in dem er heuer beim Weltcup in Salt Lake City Dritter war, sei die unberechenbarste Disziplin. Das "Felsbrocken"-Klettern findet ungesichert in Absprunghöhe statt. "Der Großteil der Qualifizierten sind Boulderspezialisten, dadurch ist da die Dichte am höchsten. Wenn man sich Fehler leistet, wird man am schnellsten durchgereicht. Es kommt drauf an, wie einem die Boulder taugen. Das Potenzial für die Top drei habe ich, aber man kann schnell auf 15 rutschen."
Eine Lösung zu finden, ist nicht immer einfach. "Es gibt Boulder, da steht man davor und weiß gleich, was zu tun ist. Es gibt Boulder, da weiß man nach fünf Minuten die Lösung immer noch nicht. Und es ist in die Hose gegangen." Manchmal würden Boulder gebaut, bei denen es vor allem darum gehe, draufzukommen, wie diese zu lösen seien. "Und manchmal, wo es um die pure Fitness geht. Es geht nur darum, Saft an die Wand zu bringen. Das sind so meine Boulder dann."
Im Speed sei die Route genormt, für die in den anderen zwei Disziplinen stehen die Setzerteams schon länger fest. Es sind jene, die auch bei der Olympiageneralprobe in Innsbruck im Einsatz waren. Dort hatte Schubert den Vorstieg gewonnen und kam im Bouldern auf Rang 14. "Die Kletterwand ist anders als in Innsbruck. Man versucht, sich auf alles vorzubereiten und so wenig wie möglich Schwächen zu haben, egal was sie schrauben." Beim Routenklettern (Lead) hat man sechs Minuten, sich die Route anzuschauen.
Grundsätzlich wird gemeinsam besichtigt. "Es sind alle sehr fair, wir sind alle befreundet. Jeder hat Vertrauen in sein eigentliches Können. Wenn man nicht ganz sicher ist mit der Lösung, tauscht man sich aus. Mir ist am liebsten, wir wissen alle die perfekte Lösung und der Fitteste soll gewinnen. Ich habe Vertrauen in die eigene Fitness." Es gehe nicht gegen die Konkurrenten, sondern gegen die Route und den Boulder. "Jeder respektiert, dass der Beste gewinnen soll."
Nicht nur die Athleten, auch die Routensetzer stehen unter Druck. "Sie sind dafür verantwortlich, wie unsere Sportart präsentiert wird. Sie haben viel Verantwortung. Ich hoffe, dass es geile Runden werden. Ich hoffe, dass sie schwierig sein werden." Denn wenn nicht, dann sei es ein Pokerspiel. "Dann geht es nur darum, dass du einen Minifehler machst und durchgereicht wirst. Auch wenn du fitter bist", weiß Schubert. Es liege oft nur an einem einzigen Zug. "Manchmal entschärfen sie den noch, weil sie denken, er ist zu schwer, und plötzlich ist der ganze Boulder extrem leicht."