Lange waren die Olympischen Spiele für die Berufsradfahrer nicht gerade eine Herzensangelegenheit. Sie waren ihnen mehr oder weniger egal. Denn erst 1996 in Atlanta dürfen die "Echten" um Gold spurten; zuvor waren nur Amateure unter den fünf Ringen geduldet. Seitdem hat sich das Blatt aber gewendet. Als Olympionike ist man wer im Radsport und die Medaille bringt sichtbare Privilegien – in Gold.
So fährt der Belgier Greg Van Avermaet (36) seit seinem Olympiasieg in Rio einen goldenen Helm im Peloton und lässt sich immer wieder Teile seiner Rennmaschinen dementsprechend gülden lackieren. Heute zählt der Belgier auf dem fordernden Kurs von Tokio allerdings „nur“ zum erweiterten Favoritenkreis, denn der Parcours scheint maßgeschneidert für Bergspezialisten: 4900 Höhenmeter warten auf den 234 Kilometern. Mit der Doushi Road, dem Kagosaka Pass, dem Fuji und dem Mikuni Pass warten ab 4 Uhr MEZ vier Bergwertungen, ehe es auf dem Fuji International Speedway ins Finale geht. Der Zieleinlauf ist nicht vor 10 Uhr zu erwarten.
Die Anstiege sind durchzogen mit kurzen steilen Rampen und auf den verwinkelten, engen Straßen gerät eine Fluchtgruppe schnell aus der Sichtweite. Daher werden einige Nationen wohl aufpassen wie die Haftelmacher, wiewohl bei Olympia auch kein Funk erlaubt ist. Der Scharfrichter wird wohl der Mikuni gut 30 Kilometer vor dem Ziel. Für Patrick Konrad ist der Pass vergleichbar mit dem Kitzbühler Horn. Der Bora-Profi und seine zwei Kollegen Gregor Mühlberger und Hermann Pernsteiner haben eine klare Vorgabe: Zumindest einer muss von Beginn an immer vorne im Peloton sein, falls sich eine Fluchtgruppe ergibt. „Wir wollen um einen Spitzenplatz mitfahren. Wenn jeder einen guten Tag hat, wenn sich der Rennverlauf ergibt, dann können wir das schon schaffen", sagt Konrad.
Mit seinem Tour-Etappensieg hat sich der österreichische Meister Selbstvertrauen geholt und er flog mit einem kurzen Zwischenstopp auf dem Wiener Airport von der Tour nach Japan. "Natürlich sind die Zeitumstellung und die Akklimatisierung ein Thema. Und man merkt schon, dass man eine Grand Tour mit vielen Kilometern in den Beinen hat, aber im positiven Sinn."
Akute Rennhärte haben aber auch andere. Einige Rennfahrer kommen aus der dreiwöchigen Landesrundfahrt, etwa auch Gesamtsieger Tadej Pogacar (22) aus Slowenien. Er führt mit seinem 31-jährigen Landsmann Primoz Roglic (Tour-Ausstieg nach Sturz) die Favoritenliste unter den Buchmachern an. Gefolgt von den Belgiern Wout van Aert (26) und Remco Evenepoel (21). Positiv im negativen Sinn war übrigens ein deutscher Teilnehmer: Simon Geschke – beim Covid-Test. Die weiteren Teammitglieder waren negativ, sollten also um 4 Uhr am Start stehen.
Damen am Sonntag
Am Sonntag lautet das Motto auch für Anna Kiesenhofer: alle gegen die Niederlande. Alles andere als ein Sieg von Anna van der Breggen, Annemiek van Vleuten, Demi Vollering oder Marianne Vos nach 137 Kilometern wäre eine Sensation.