„Eröffnung der olympischen Wettkämpfe in Fukushima“, titelte die Tageszeitung Fukushima Minpo am Donnerstag. Das Konkurrenzblatt Fukushima Minyu machte auf mit: „Japan gewinnt den Auftakt.“ Schließlich hatten am Tag zuvor, beim ersten Wettkampf im Rahmen der erst Freitag offiziell eröffneten olympischen Spiele von Tokio, die japanischen Softballfrauen mit 8:1 gegen Australien gewonnen. So strahlten die großen Medien aus der seit einem Atom-Gau vor zehn Jahren krisengebeutelten Präfektur Fukushima vor Stolz.
Über die allgemeine Stimmung können solche Titelseiten aber kaum hinwegtäuschen. „Tokyo 2020“, wie sich die Spiele auch nach ihrer pandemiebedingten Verschiebung um ein Jahr offiziell nennen, ist bei den Menschen in ganz Japan höchst unpopulär. Seit Beginn der Pandemie haben Umfragen im Land immer wieder ergeben, dass rund 80 Prozent der Menschen gegen die Austragung diesen Sommer ist. Eine unbeliebtere Ausgabe der olympischen Spiele gab es wohl noch nie.
Die Leute sprechen wenig darüber
Auch beim Auftakt am Mittwoch in Fukushima hätte eine ahnungslose Person kaum bemerkt, dass hier gerade die größte Sportveranstaltung der Welt begonnen hatte. Die Leute sprechen wenig drüber, im Hauptbahnhof hängen keine unübersehbaren Plakate, es wird auch nicht mehr groß mit dem Schriftzug „Tokyo 2020“ geworben. Ähnlich ist die Stimmung in Tokio. Wobei man dort noch eher mitbekommt, was los ist, weil immer wieder gegen die Spiele protestiert worden ist. Mal versammeln sich Hunderte vorm neugebauten Nationalstadion, in dem am Freitag die Spiele für eröffnet erklärt werden. An einem anderen Tag kommt man vor das Tokioter Rathaus. Bis zum Beginn ist immer wieder die Absage gefordert worden.
Schließlich bringen diese Spiele so ziemlich nichts von dem, was sie einst versprochen haben. Zuerst hatte es geheißen, Japan würde einen durch Olympia befeuerten Wirtschaftsboom erleben, und dies ohne Kosten für die Steuerzahler. Was schon vor der Pandemie auf einer kreativen Kalkulation beruhte, ist heute sogar ohne Rechnen offensichtlich: „Tokyo 2020“ spielt nicht mehr ein als es kostet. Es ist ein milliardenschweres Verlustgeschäft.
Auch die Ankündigung, im Zuge der olympischen Spiele würden die vor zehn Jahre im Zuge einer Natur- und Atomkatastrophe beschädigten Gebiete im Nordosten wiederaufgebaut, bleibt eine Ankündigung. Zwar wurden 90 Prozent aller Gebäude wiedererrichtet oder ersetzt. Aber in der Nähe der Atomruine Fukushima Daiichi bleiben Orte evakuiert. Rund 40.000 Menschen dürfen bis heute nicht in ihre Heimat zurück, weil die Strahlung zu hoch ist. Für sie helfen olympische Wettkämpfe im Softball und Baseball, die ja seit Mittwoch in der Präfektur stattfinden, wenig. Zumal sie in Fukushima-Stadt steigen, also 60 Kilometer landeinwärts, wo es nie große Schäden durch die Katastrophe gab.
Alte Reflexe
Außerdem sollten die olympischen Spiele in ganz Japan für einen Internationalisierungsschub sorgen. Das ostasiatische Land hat einen Ausländeranteil von nur knapp zwei Prozent, es mangelt an Arbeitskräften, gut Englisch sprechen hier nur wenige Menschen. Indem die ganze Welt zu Besuch kommen würde, sollte Austausch gefördert werden, frischer Wind durchs Land wehen. „Unity in diversity“, Einheit in Vielfalt, lautet eines der Mottos dieser Spiele.
Es ist ein schöner Gedanke, viel mehr aber nicht. Als die Pandemie begann, griffen alte Reflexe. Japans Regierung schloss schnell seine Grenzen, ließ zunächst nicht einmal ausländische Bewohner zurück ins Land, sobald sie Japan einmal verlassen hatte – eine Regel, die für japanische Staatsbürger nicht galt. Erst nach einem großen Aufschrei wurde die Maßnahme zurückgenommen. Aber dass Olympia dem Land noch irgendwie einen Internationalisierungsschub geben könnte, deutet sich seitdem auch nicht an.
Zu den ersten Maßnahmen, um die Austragung der Spiele diesen Sommer noch zu retten, gehörte der Ausschluss von Zuschauern aus dem Ausland. Nie wurde erwogen, ob man eine vollständige Impfung zur Bedingung für einen Stadionbesuch machen könnte. Dazu im Widerspruch steht, dass bis Ende Juni die Inlandsbevölkerung sehr wohl in Stadien gelassen werden sollte – bis die Regierung nach großer Kritik von Gesundheitsexperten dann doch entschied, dass die Spielstätten in und um Tokio ganz leer bleiben müssen.
Dieser Entschluss hat die Spiele auf eine Weise noch unbeliebter gemacht. Denn diejenigen, die gegen die Austragung sind, unterstützen sie jetzt immer noch nicht. Und wer sich auf Stadionerlebnisse gefreut hatte, ist nun enttäuscht. „Diese Spiele sollen olympische Spiele für alle werden“, pflegte Masa Takaya, Sprecher des Organisationskomitees, vor der Pandemie zu sagen. Heute hört man solche Parolen kaum noch. Die Organisatoren sind mittlerweile kleinlaut. Vermutlich, weil sie wissen, dass die Spiele zur Karikatur ihrer Selbst geworden sind.
Unterdessen werden diejenigen, die nun im Rahmen der olympischen Spiele nach Japan einreisen, besonders hart rangenommen. Athleten, Offizielle und Journalisten dürfen sich zunächst nur in einem Korridor zwischen Unterbringung und Spielstätten bewegen. Anfangs ist jeden Tag ein PCR-Test Pflicht. Und im Hotel ist die ersten Tage das Frühstück sowie die Zimmerreinigung verboten – Kontakt mit Einreisenden aus dem Ausland sei zu gefährlich für das Personal.
Wobei diese harten Maßnahmen nicht nur Pandemiebekämpfung sind, sondern auch Symbolpolitik. Die Einreisenden sind die vielen Gesichter der ungeliebten Spiele. Und eine strenge Handhabe ihnen gegenüber soll zeigen, dass die Veranstalter die Sicherheitsbedenken der Bevölkerung erstnehmen. Schließlich beginnt in Japan gerade eine neue Infektionswelle, mehrere Athleten sind auch schon positiv getestet worden.
Wobei jeder in Japan, der kurz nachdenkt, wissen müsste, dass die größte Gefahr dieser Tage nicht von den Olympiaeinreisenden ausgeht. Die haben nämlich eine Impfquote von rund 80 Prozent. In der japanischen Bevölkerung ist bisher nicht einmal ein Viertel vollständig geimpft. Unterdessen geht das Leben außerhalb der Olympiablase relativ normal weiter. In Tokio werden Menschen zum Daheimbleiben angehalten, aber nicht verpflichtet. Restaurants und Bars dürfen ab acht keinen Alkohol ausschenken und verkaufen Essen nur noch zum Mitnehmen. Tagsüber sind die Restaurants voll.
Schnelleres Impfen und stärkere Einschränkungen des Alltagslebens in Japan, die über das Masketragen auch unter freiem Himmel hinausgehen, würden gesundheitspolitisch Sinn ergeben. Aber beliebt wären solche Schritte nicht. So beschäftigt man sich doch lieber mit denen, die von außen kommen. Dieser in Japans Politik typische Ansatz hätte durch Olympia, eigentlich die internationalste Veranstaltung überhaupt, durch etwas Weltgewandteres ersetzt werden können. Tatsächlich wird diese latente Xenophobie nun nur gestärkt.