Das Gesicht dieser Spiele gehört einer Algerierin, und dafür hätte Imane Khelif ihren finalen Boxkampf im Weltergewicht noch nicht einmal gewinnen müssen. Mal ehrlich, außer dem seligen Sigi Bergmann und ein paar Enthusiasten hätte das Frauen-Boxen wohl kaum einer mitbekommen, wenn nicht eine vogelwilde Diskussion um das Geschlecht zweier Kämpferinnen entbrannt wäre. Khelif und die Taiwanesin Li Yun-Ting haben zwar kein Spatzi, wohl aber ein Y-Chromosom, was ihnen höhere Knochendichte und bessere Muskeln beschert.
Das sind Typen, hat das Netz gegackert, die haben genetische Vorteile, das ist ungerecht. Aber haben Sportler nicht oft besondere Voraussetzungen? Da gibt es Schwimmer mit Händen wie Bratpfannen und Schuhnummer Hundert. Großgewachsene Hochspringerinnen haben Vorteile gegenüber horizontal Herausgeforderten. Ein Skispringer wäre im Ringen wohl eher Matte, dafür macht ein Gewichtheber auf der Schanze keine großen Sprünge. Wann hat es zuletzt einen Weißen in einem 100-Meter-Finale gegeben? Welche Spitzenschwimmer sind schwarz? Und im Ausdauersport scheinen Asthmakranke im Vorteil.
Solange Menschen gegeneinander antreten, wird es unterschiedliche Voraussetzungen geben, sonst dürften sich nur noch eineiige Zwillinge gegenüberstehen. Jede Grenzziehung ist willkürlich. Gerade bei der Frage des Geschlechts ist es keineswegs so einfach, wie es scheint. Selbst Experten sind sich uneinig, wie sie definieren sollen, was eine biologische Frau ist. Und dann gibt es noch Menschen mit Anomalien wie die beiden Boxerinnen, die in Männerbewerben nichts reißen würden, bei den Damen aber zu den Stärkeren gehören.
Als Dora zum Heinrich wurde
Solche Fälle sind nicht ungewöhnlich. 1936 gab eine deutsche Hochspringerin, Dora Ratjen, die später zum Heinrich wurde. Hierzulande kann man sich an Erika/Erik Schinegger erinnern. Die umstrittene südafrikanische Läuferin Caster Semenya hat mittlerweile sogar Kinder gezeugt, mit männlichen Geschlechtsorganen, die in ihrem Körper versteckt waren.
Vielleicht trifft es der alte Kinderspruch: Was Eier hat, ist maskulin, was Milch hat, das ist feminin. Die Ausnahme merke genau: Der Milchmann und die Eierfrau.
Was immer man über Imane Khelif denkt, sie musste unglaublich viele Hasskommentare wegstecken, hat schwer zu kämpfen, um ihre Würde zu bewahren und verdient daher Achtung. Zumindest im übertragenen Sinn kann man sagen: Diese Frau hat Eier. Egal wie berechtigt ihr Antreten bei den Frauen auch immer ist, eines ist sie bestimmt, ein Mensch, und so muss sie behandelt werden – mit Respekt.