„Ich muss zugeben, ich bin ein wenig enttäuscht.“ Jakob Schubert machte kein Hehl daraus, dass er gerne mehr gewollt hätte. Obwohl da auch die „Megafreude“ aus ihm sprach, die er letztlich hatte. Damit, dass er wie schon in Tokio die Bronzemedaille gewonnen hatte. Doch wusste der 33-Jährige auch: Zumindest Silber, mit dem sich der große, erst 17-jährige japanische Favorit Sarato Anraku zufriedengeben musste, war im wahrsten Sinn des Wortes greifbar. Selbst Gold, das sich der 19-jährige Brite Toby Roberts mit 15,6 Punkten Vorsprung holte, war nicht außer Reichweite. Doch hätte er zugleich auch ganz leer ausgehen können.
Der Ärger? Resultierte vor allem aus der Boulderrunde zum Auftakt. Da missglückte ihm just der auf Physis, also Kraft, ausgelegte Boulder – jener Teil, der auf ihn zugeschnitten sein sollte. Nach Protest bekam er null Punkte, dazu verdrehte er sich die Schulter. 43,6 von möglichen 100 Punkten brachten ihn schließlich im ersten Teil auf Rang fünf, auf die beiden Führenden Anraku und Roberts fehlten 25 bzw. 26 Punkte. Mit seiner Selbstkritik stand der Innsbrucker nicht alleine da: „Sein Bouldern war mittelmäßig. Unglaublich, dass er das noch herumgerissen hat“, urteilte Trainerin Katharina Saurwein.
„Die Route war lange viel zu leicht“
Der Ärger flammte auf der Lead-Route, der eigentlichen Domäne des sechsfachen Weltmeisters, auf. Zwar kam der sechsfache Weltmeister mit schließlich 96 von 100 möglichen Punkten am weitesten, doch wusste er schon: „Die Route war lange viel zu leicht, man konnte sehr kontrolliert klettern, selbst wenn man nervös war. Mir war klar, dass man da den Rückstand nicht aufholen kann, da haben sich die Routenbauer vertan.“ Denn, so merkte er an: Eine schwierige Boulder-Prüfung mit vier harten „Rätseln“ bevorzuge dort die „jungen Wilden“, die aus dieser Disziplin kommen. Im Vorstieg, das im Französischen den passenden Namen „Difficulté“ (Schwierigkeit) trägt, sei diese zu spät zu spüren gewesen.
Dementsprechend war klar: „Ich habe Bronze, mehr ist nicht drin. Obwohl man gesehen hat, dass sich Anraku schwer getan hat, aber es war eben nichts, was nicht zu schaffen war.“ Letztlich fühlte es sich aber doch gut an, die 100. Medaille in der Geschichte des ÖOC bei Sommerspielen um den Hals gehängt zu bekommen. Das registrierte der sechsfache Weltmeister nach seinem Interview-Marathon: „Bronze fühlt sich immer gut an. Man kann schon stolz sein, bei zwei Olympischen Spielen eine Medaille geholt zu haben.“ Noch dazu als erster Kletterer dieser noch jungen Sportart (seit 2021 im Programm). Andere Favoriten, wie der Tscheche Adam Ondra (6.) oder Tokio-Olympiasieger Alberto Gines Lopez (7./ESP) gingen leer aus.
Doch vielleicht gibt es ja einen Weg, wie Schubert seine „Olympia-Symphonie“ doch noch zum runden, vollendeten Werk machen könnte. Bei den Sommerspielen 2028 in Los Angeles? „Drei Medaillen, das wäre schon etwas Besonderes“, orakelte Schubert mit versonnenem Blick auf die Wand. „Gold ist das große Ziel, das habe ich noch nicht erreicht. Da werde ich wohl weitermachen müssen...“ Der „Methusalem des Klettersports“, wie ihn eine Doku würdigte, wäre dann 37. Doch die Weichen dazu muss das IOC stellen: Es müsste auch Einzelmedaillen für Speed, Bouldern und Schuberts Spezialdisziplin Vorstieg geben. „Noch einmal werde ich mir die Kombination und vier Jahre Boulder-Training wohl nicht antun, dazu sind die Jungen hier zu stark. Aber im Vorstieg bin ich der Beste, das habe ich wieder gezeigt. Solange das so ist, warum sollte ich aufhören?“
„Da darf ich heute anstoßen“
„Noch ist die Entscheidung über Olympia 2028 nicht gefallen, das muss er selbst wissen“, berichtete seine überglückliche Freundin Carmen nach dem Bewerb. Sie hatte ihren Anteil an der Medaille – ein Kleeblatt, das sie unweit der Wettkampfstätte gefunden hatte, landete im Boulder-Beutel ihres Freundes. Schubert weiß: Sie gehörte wie Papa Peter, Schwester Hannah und mitgereiste Freunde zu jenen, „ohne die ich heute nicht hier stehen würde“. Und freute sich auf den Abend: „Ich habe extra für Olympia sechs Monate keinen Tropfen Alkohol getrunken. Da darf ich heute anstoßen.“ Das tat er auch im Österreich-Haus, wo er gefeiert wurde wie ein Olympiasieger.
Einen anderen Plan hat er auch schon: „Ich will heuer die DNA-Route in Frankreich gehen, eine von drei mit Schwierigkeitsgrad 9C. Soweit ich weiß, will Adam Ondra das auch. Wir werden also einen Wettkampf haben, wer der erste Kletterer der Welt ist, der zwei 9C-Routen geschafft hat.“
Vielleicht klappt es ja heute für Österreich mit einer weiteren Medaille: Jessica Pilz will es Jakob Schubert bei den Frauen zumindest gleichtun.