Kang Ji-hyun hat gemischte Gefühle, wenn sie an die Athletinnen und Athleten aus ihrer Heimat denkt: „Natürlich unterstütze ich den Süden. Ich bin ja seit langem Bürgerin Südkoreas.“ Und Menschen wie sie wüssten, wie sehr der Norden ein Übel für die Bürger Nordkoreas sei. „Aber andersherum hoffe ich auch, dass einige nordkoreanische Athleten auch Medaillen gewinnen, solange es nicht gegen Südkorea ist.
Kang Ji-hyun ist in Nordkorea geboren, floh aber vor eineinhalb Jahrzehnten über China und Südostasien nach Südkorea, wo sie heute als Modedesignerin und Künstlerin lebt. Wie viele Geflüchtete aus dem Norden fühle sie sich zwar dem Süden verbunden – aber eine Art Mitgefühl für den Norden bleibt: „Wenn die Sportler aus dem Norden keinen Erfolg haben, verlieren sie vielleicht ihren Job als Athlet und werden von der nordkoreanischen Partei bestraft, weil sie verloren haben.“
Nur Sieger werden zu Helden
Sorgen seien immer angebracht, sagt die Frau, die es wissen muss. „Die nordkoreanische Partei ist gegenüber den Verlierern nicht gerade großzügig. Nur die nordkoreanischen Athleten, die siegen, werden zu Helden gemacht.“ Neue Heldengeschichten wiederum soll es diese Tage in Paris geben. Denn Nordkorea nimmt wieder an den Olympischen Spielen teil.
Es ist das erste Mal seit sechs Jahren, dass Athletinnen und Athleten aus Nordkorea Teil der größten Sportveranstaltung der Welt sind. Zu den pandemiebedingt um ein Jahr auf 2021 verschobenen Sommerspielen von Tokio sowie den Winterspielen von Peking 2022 hatte Nordkoreas Regierung niemanden geschickt. Aus Angst vor Covid-19 hatte der weitgehend arme Ein-Parteienstaat seine Grenzen geschlossen. Jahrelang konnten sich daher auch Athleten nicht mit der Welt messen.
Sport wird für Propaganda genutzt
Doch das ist jetzt vorbei. Und aus nordkoreanischer Perspektive ist das ein Meilenstein, sagt Lee Jung-Woo, der an der University of Edinburgh zu Sport und Politik in Nordkorea forscht: „Für Nordkorea hat Sport schon immer eine sehr politische Rolle gespielt. Er wird als Werkzeug für Propaganda genutzt.“ Mit Erfolgen werde die Großartigkeit Nordkoreas als Nation betont.
„Das ist also eine sehr nationalistische Ausrichtung, die sich auch gegenüber den internationalen Sanktionen gegen Nordkorea stemmt.“ Wenn nordkoreanische Athletinnen Medaillen bei Olympia gewinnen, erklären sie die Erfolge nicht auch deshalb als ihre individuelle Leistung. In Interviews danach loben sie die Regierung und den „Obersten Führer.“ So wird der als Sportfan bekannte Diktator Kim Jong-un bezeichnet.
Wobei der südkoreanische Forscher Lee Jung-Woo erwartet, dass Kim bei den Spielen von Paris bis zum Ende nicht viel zu feiern haben wird: „Bei diesen Spielen gibt es nicht viel Optimismus. Nordkoreas historisch besten Sportler sind die Gewichtheber.“ Aber die sind in Paris nicht dabei. „Es gab Gerüchte, dass sie gedopt haben. Sie wollten keine Blutproben freigeben, woraufhin sie einfach nicht mehr teilgenommen haben. Es ist also nicht bestätigt, dass gedopt wurde. Aber es gibt Hinweise.“
16 Athletinnen und Athleten aus dem ostasiatischen Land sind in Paris dabei. Sie treten im Kunstturnen, der Leichtathletik, Boxen, Turmspringen, Judo, Tischtennis und Ringen an. Zu zweimal Silber und dreimal Bronze reichte es bisher. Doch sie alle haben sich über Jahre nicht bei internationalen Veranstaltungen messen können. Zudem ist die Ernährungslage im Land schwierig. Kurz vor der Pandemie schätzte ein UN-Report, dass 40 Prozent der Bevölkerung unterernährt sind. Seitdem könnte sich die Situation verschlechtert haben.
Viele Menschen im Norden sind unzufrieden
Die seit 2017 verschärften UN-Sanktionen, als Reaktion auf schwere Menschenrechtsverletzungen und wiederholte Raketentests, beschneiden auch den Sport. Kang Ji-hyun, die einst aus Nordkorea flüchtete, hofft teilweise, dass große Erfolge in Paris ausbleiben: „Die Menschen in Nordkorea wissen, dass Kim Jong-un und seine Familie keine guten Anführer sind, und dass sie eine Verantwortung für den Hunger im Land tragen.“ Viele Menschen im Norden seien unzufrieden. „Die Kim-Familie weiß das. Deswegen wären sportliche Erfolge ihr eine gute Gelegenheit, davon abzulenken.“
Für Nordkoreas Regime haben die Spiele von Paris noch aus einem anderen Grund große Bedeutung, nämlich in Sachen Sportdiplomatie, sagt Lee Jung-woo: „Die Spiele von Paris sind auch deshalb sehr wichtig für Nordkorea, weil es seine Beziehungen mit dem IOC pflegen will. Beim IOC vertreten zu sein, zeigt, dass Nordkorea nicht nur eine eigene Identität hat, sondern auch Regeln befolgt.“
Respekt zwischen Nordkorea und IOC
Dies sei wichtig für Nordkorea, weil es von weiten Teilen der internationalen Gemeinschaft gemieden wird. „Aber zwischen IOC und Nordkorea gibt es gegenseitigen Respekt“, so Lee. Dass es im Rahmen von Paris dagegen wieder zu Austausch zwischen Nordkorea und dem verfeindeten Bruderstaat Südkorea kommt, ist dagegen kaum zu erwarten. Zu angespannt sind die Beziehungen zwischen dem liberalen Süden und dem autoritären Norden. Die Regierungschefs drohten sich zuletzt immer wieder mit Krieg.
Eine konkrete Agenda verfolgt Nordkorea in Paris dennoch: „Nordkorea will seinen Sportminister Kim Il-guk zum Status des IOC-Mitglieds befördern“, berichtet Lee Jung-woo. „Das wäre eine sehr privilegierte Position im IOC. Nordkorea hatte schon von 1995 bis 2018 ein IOC-Mitglied, das dann aber in den Ruhestand ging. Mit Kim verfolgen sie nun einen mittelfristigen Plan.“
Kontakte könnten Nordkorea helfen
Offiziell repräsentieren IOC-Mitglieder die Interessen des Sportdachverbands – in der Praxis aber tragen sie aber auch oft die Interessen ihrer Heimatländer ins IOC hinein. Dass Nordkoreas Sportminister Kim Il-guk schon in diesem Jahr zum IOC-Mitglied wird, ist zwar unwahrscheinlich. Aber in den nächsten drei bis vier Jahren, erwartet Lee Jung-woo, könnte der Staatsvertreter genügend Hände geschüttelt und Kontakte gemacht haben. Jetzt, wo Nordkorea wieder im Weltsport vertreten ist, wird damit begonnen.
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Felix Lill