Simone Biles – mehr muss man nahezu nicht sagen. Mit 27 Jahren ist die gerade einmal 1,42 Meter große US-Amerikanerin die „Grande Dame“ ihres Sports. Und nicht nur das. Turnerin Biles hat ihren Sport nahezu überflügelt. Sie hat ihn geprägt, ist mit 39 Medaillen bei Olympischen Spielen und Weltmeisterschaften die erfolgreichste Turnerin aller Zeiten. Sie hat aber weit mehr als das: Sie hat nicht zuletzt aufgrund ihrer Stärke in ihrer schwächsten Stunden die Grenzen des Sports gesprengt. Die schwache Stunde? Bei den Spielen in Tokio hatte sie dem Druck nicht mehr standgehalten.

„Twisties“ verfolgten sie, wie man das in der Fachsprache nennt, sie verlor bei Drehungen die Orientierung. Für eine Turnerin der Super-GAU. Biles zog während des Wettkampfs zurück, sprach offen über die Probleme, die „Dämonen“, die sie verfolgten. Und gab sich in Behandlung. Zwei Jahre zog sie sich aus dem Sport zurück. Zwei Jahre, in denen sie ihren heutigen Ehemann, den Footballer Jonathan Owens kennenlernte. Über eine Dating-Plattform übrigens, aber eine, in die man nur mittels Einladung kommt. In der Zwischenzeit ist sie verheiratet („Nach meinem ersten Olympiasieg dachte ich nicht, dass es etwas gäbe, was diesen Moment toppen könnte. Meine Hochzeit war so ein Moment“, sagte sie später) und kehrte nach zwei Jahren harter Arbeit zurück in den Sport, der sie prägte und den sie prägte.

Biles brachte die Halle zum Kochen

Am Sonntag hatte Biles ihren ersten Auftritt in der Qualifikation. Die Halle in Bercy, die 17.000 Zuschauer fasst, war rappelvoll. Wenn Biles turnt, dann kommen auch Ariana Grande, Tom Cruise oder SnoopDog, die ebenso gebannt zusahen. Und als Biles um 11.36 Uhr erstmals auf den Bildschirmen zu sehen war, kochte sie. Als sie sie betrat, ging die Stimmung schon nahezu über, als die 27-Jährige erstmals Kusshändchen in die Kamera war. Sie, die dem Aufgeben schon nahe war. „Ich wollte schon 500.000 Mal aufgeben, und ohne meine Familie und Freunde hätte ich das auch“, sagte Biles in der Netflix-Doku „Wie Phönix aus der Asche“ über ihre schweren Zeiten.

Nun ist sie wieder da, und wie. Der Superstar der Szene beschloss nach der Quali auch das Mehrkampffinale genau so, wie man sich das erwarten durfte und konnte: Die 27-Jährige war im Finale als letzte Turnerin im Einsatz und holte sich mit einer herausragenden Vorstellung am Boden ihre sechste Goldmedaille. Und damit hat sie an Erfolgen die bis dato als „beste Turnerin“ alle Zeiten geltende Rumänin überholt. Mit 59,131 Punkten verwies sie die Brasilianerin Rebecca Andrade (wie in Tokio Zweite/57,932) und Landsfrau Sunisa Lee, 2021 noch Olympiasiegerin (56,465), auf die Plätze.

Extraklasse

Das Mehrkampffinale der Damen war einmal mehr Beweis für die Extraklasse der US-Amerikanerin, die die Basis für den Erfolg schon mit ihrem Sprung legte, in dem sie der Konkurrenz dank der Schwierigkeit des Sprungs zumindest 0,6 Punkte abnahm. Dass Biles wie schon im Vorkampf im Stufenbarren nicht zu den Allerbesten zählt: kein Problem. Denn auch am Schwebebalken war die immer charismatischer werdende US-Amerikanerin eine Klasse für sich. Sie sprang höher, drehte mehr, wirkte eleganter – und erwartete dann lässig sitzend wie eine Diva die Wertung – und die fiel enorm hoch aus.

Die Kür am Boden war dann der glänzende Abschluss und der zweite Olympiasieg im Mehrkampf nach 2016. Vor drei Jahren hatte Biles ja wegen mentaler Probleme in Tokio zurückgezogen und erst nach zweijähriger Pause wieder die Kraft gefunden, in den Turnsport zurückzukehren. Die Art und Weise, wie sie das getan hat, ringt mehr als nur Respekt ab. Und Biles darf sich nun auch in olympischen Dimensionen besser als Comaneci fühlen: Bei neun Medaillen hat sie ein Olympiagold mehr; und noch warten die Gerätefinali, in denen sie am Sprung, Schwebebalken und auch am Boden nur schwer zu schlagen sein wird.