„Es tut mir leid, dass es nicht mehr geworden ist.“ Christina Schweinberger sagte das als Verabschiedung nach dem Gespräch mit den österreichischen Journalisten, und sie hatte wieder Mühe, die Tränen zurückzuhalten. Kurz davor war Anna Kiesenhofer an nahezu exakt derselben Stelle gestanden, schon umgezogen. Mit blutigem Ellbogen stand die Olympiasiegerin von Tokio Rede und Antwort und auch ihr kullerte dabei die eine oder andere Träne über die Wange. Die Enttäuschung war bei beiden förmlich greifbar – denn beide hatten sich so viel vorgenommen für das Zeitfahren. Letztlich blieb ein Sturz bei Anna Kiesenhofer, nachdem sie nicht mehr rund treten konnte und nur auf Platz 33 kam, und Platz zehn für Christina Schweinberger, im Vorjahr noch WM-Dritte in dieser Disziplin. Auch die Tirolerin war in einem Kreisverkehr gestürzt, hatte wertvolle Zeit verloren. Ohne den Sturz, wer weiß, wäre wirklich eine Medaille drin gewesen. Klar aber war: Die Australierin Grace Brown war an diesem Tag unter diesen Bedingungen unschlagbar – sie distanzierte die zweitplatzierte Anna Henderson (GBR) um mehr als 1:30 Minuten.
Die Österreicherinnen waren aber einfach zerknirscht. Bei Kiesenhofer, die in Tokio noch den großen Überraschungscoup gelandet war, wechselten Schmerzen und Enttäuschung. „Ich bin in einem Kreisverkehr gestürzt und habe gezweifelt, ob ich überhaupt weiterfahren kann. Denn auf diesen schlechten Straßen konnte ich den Ellbogen nicht mehr auf dem Aufleger auflegen.“ Die 33-Jährige aber fuhr weiter. „Aufgeben? Ich hab daran gedacht, aber das tut man dann doch nicht, das schaut ja blöd aus.“ Also quälte sich Kiesenhofer weiter, dachte nach. Auch über das, was hätte sein können, ja sollen sogar. „Es ist so richtig schade, ich hab mich so gut gefühlt“, seufzte sie, „die Beine waren so gut, beim Einfahren wie auch im Training. Da bin ich so viel Watt wie normal nie gefahren.“ Doch dann kam der Regen („Ich bin aber trotzdem mit der Einstellung hineingegangen, dass es zwar eine Challenge ist, ich mich der aber stelle“) und die Vorsicht in den Kurven. „Ich hab es wohl trotzdem unterschätzt, denn es war so rutschig wie auf Glatteis“, sagte Kiesenhofer. Der Sturz? Passierte trotz aller Vorsicht.
Ähnlich wie bei Schweinberger, die den Regen an sich mag. „Ich tu mir da normal leichter als andere“, erklärte die Tirolerin, „die ersten Kurven bin ich auch ganz gut gefahren“. Vierte war die 27-Jährige noch nach der ersten Zwischenzeit, dann kam der Sturz. „Es war nicht einmal eine Schlüsselstelle, nur ein Kreisverkehr, über den man gerade fahren sollte.“ Doch Schweinberger kam zu Sturz, nicht aus dem Pedal. „Das hat mich 30 Sekunden gekostet, auch wenn ich nicht sagen kann, dass ich deswegen keine Medaille habe.“ Aber mit dem Sturz kam die Vorsicht, bei der zweiten Zwischenzeit dann auch schon die spätere Siegerin. „Das war hart für den Kopf, als sie mich überholt hat. Die ist ja 1:30 Minuten hinter mir gestartet“, sagte Schweinberger. Und doch: „Es war eines meiner besseren Zeitfahren, wenn auch nicht das beste. Ich war schneller als die Berechnungen von mir und meinem Trainer. Die Mädels vorne? Wahnsinn, was die geleistet haben“, sagte Schweinberger und die Stimme wurde brüchig. Denn: „Platz zehn war das Minimalziel. Aber ich hätte nie gedacht, dass ich so enttäuscht bin damit.“
Kein Trost für die Damen ist, dass die 32-jährige Grace Brown, in Tokio noch Vierte im Zeitfahren, von einem Tiroler trainiert wird: Der Zillertaler Paul Leo ist für die Fitness der Australierin verantwortlich. Die meinte: „Gold bedeutet mir alles. Ich wusste gar nicht, dass so viele Konkurrentinnen gestürzt sind, offenbar habe ich Glück gehabt. Aber durch die Nässe hatte ich in den Kurven mehr Zeit, um mich zu erholen.“
Bei den Herren gab es einen Favoritensieg: Remco Evenepoel, im Vorjahr Zeitfahr-Weltmeister, vor zwei Jahren Straßenweltmeister, setzte sich vor dem Italiener Filippo Ganna (+14,97 Sek.) und seinem Landsmann Wout van Aert (+25,63 Sek.) durch. Felix Großschartner kam sturzfrei durch und mit einem Rückstand von 2:05:,50 Minuten auf Rang 19.