Fast nicht wiederzuerkennen war Ferrari beim Großen Preis von Singapur, so souverän fuhr die Scuderia beim Nachtrennen den Sieg ein. Starke Pace, zuverlässiges Auto und eine gute Strategie brachten Carlos Sainz den Sieg ein. Der Spanier fuhr ein beeindruckendes Rennen von der Pole Position aus, machte keine Fehler und hielt die Konkurrenz auf Distanz. Wie wichtig der Sieg für den gesamten Rennstall war, zeigte sich auch bei der Siegerehrung, jubelte doch Teamchef Fred Vasseur gemeinsam mit seinem Schützling auf dem Podium.

Bei diesen Bildern stellt sich die berechtige Frage: Setzt Ferrari seit geraumer Zeit vielleicht aufs falsche Pferd? Ist Charles Leclerc nur die Nummer zwei beim Team aus Maranello? Bei eingefleischten Fans des Monegassen dürften diese Aussagen mit Gotteslästerung gleichzusetzen sein, ist Leclerc in der Formel 1 ein absoluter Fanliebling. Talentiert, charismatisch, schnell - der 25-Jährige hat alles, was einen zukünftigen Champion ausmacht. Umso tiefer brannten sich die Bilder der vergangenen zwei Jahre ein, als der fünffache GP-Sieger so sehr wie kaum ein anderer Fahrer litt, sei es ob der Zuverlässigkeitsprobleme oder eigenen Fehler. Der leidende Charles Leclerc könnte gut und gern als Gemälde im Formel-1-Museum hängen.

Spanische Führung

Im Vorjahr galt er nach den ersten Rennen als großer Favorit auf den Titel, wurde in Folge von Max Verstappen und Red Bull aber in allen Belangen in Grund und Boden gefahren. 2023 ist Ferrari ohne Chance auf einen Titel, was den Monegassen schon des Öfteren zum Verzweifeln brachte. Und auch im direkten Duell mit dem Teamkollegen ist Leclerc zuletzt zurückgefallen.

Die nackten Zahlen: Sainz (142) liegt in der WM vor Leclerc (123), dafür hat der Monegasse bei den Qualifyings knapp die Nase vorne und führt mit 8:7. Die 19 Punkte Vorsprung verlieren aufgrund der drei Ausfälle von Leclerc ein wenig an Bedeutung. Daran ist Leclerc aber nicht ganz unbeteiligt. Bei seinem ersten Ausfall in Australien war er bei einer Kollision in Runde eins nicht frei von Schuld.

Momentum gegen Zukunft

Konnte Sainz den Ausfall damals mit Platz zwölf damals nicht ausnutzen, kann man ihm ein gewisses Momentum derzeit aber nicht absprechen. Pole Position und Platz drei in Monza, Pole Position und Sieg in Singapur. Der Spanier fühlt sich im SF-23 derzeit wohler als sein Teamkollege und kam stark verbessert aus der Sommerpause. Das Selbstbewusstsein stimmt, was sich auch im Rennen zeigt. In Singapur ließ er etwa Lando Norris bewusst innerhalb einer Sekunde hinter sich, damit sich dieser gegen das Mercedes-Duo verteidigen konnte.

Von einer Wachablöse zu sprechen, wäre dennoch etwas zu verfrüht - vor allem mit Blick in die Zukunft. Auch wenn der Spanier derzeit die Nase vorne hat, ist das Leistungspotenzial seines Teamkollegen, wenn alles perfekt läuft, höher einzuschätzen. Leclerc ist das größere Talent und die Identifikationsfigur vieler Tifosi. Niemand lebt Ferrari mehr, als der Monegasse. Das wird sich so schnell auch nicht ändern. Während es bei Sainz bereits Wechselgerüchte zu Audi gibt, ist es schwer vorstellbar, dass Leclerc seine große Liebe jemals verlässt.