Acht Rennen, acht Siege von Red Bull. In der Formel 1 scheint eine gewisse Eintönigkeit zu herrschen, die Serie boomt trotzdem. Haben Sie eine Erklärung dafür?

TOTO WOLFF: Man kann sich am Ende nicht beklagen, wenn ein anderes Team einen besseren Job macht als der Rest der Welt. Warum Red Bull mit Verstappen dominiert, ist leicht erklärt: Sie haben es sich verdient. Vorausgesetzt, sie halten sich ans Reglement. Ans technische, ans sportliche und ans finanzielle.

Hegen Sie da gewissen Zweifel?

Ich habe nichts gesagt, kein Wort.

Den Fans wird’s jedenfalls nicht langweilig?

Das Duell Hamilton gegen Verstappen 2021 war großartig. Das hat die Leute an den Fernseher gefesselt. Und es ging weiter nach vorne. Es mag jetzt etwas monoton erscheinen, da müssen wir aufpassen. Aber die Formel 1 hat viele neue Fans gefunden. Die am stärksten wachsende Gruppe sind junge Frauen zwischen 15 und 35 Jahren. Ich glaube, da geht es gar nicht mehr so um den Sport. Wer gewinnt, steht nicht so im Vordergrund. Die Formel 1 hat sich im Gegensatz zur Welt und zu Zeiten von Bernie Ecclestone richtiggehend geöffnet. Wir haben unzählige TV-Stationen mehr, die übertragen und die Tag für Tag Content liefern. Die Show passt und auf Netflix gibt es ohnehin nur Gewinner.

Kleine-Zeitung-Sonderreporter bei den Formel-1-Fans

Aber langfristig kann das ja nicht funktionieren – es geht schließlich doch ums Gewinnen?

Ja, das ist schon richtig. Dem Fan wird am Ende weniger Entertainment geboten, wenn immer der Gleiche gewinnt. Auf Dauer wirkt das einschläfernd. Aber es liegt an uns, dass wir einen besseren Job machen.

Mercedes hat mit dem neuen Design einen Sprung gemacht, Ferrari ist mit einem neuen Frontflügel näher gekommen. Zeit für einen neuen Sieger, oder?

Wir haben in Monaco einen großen Schritt nach vorne gemacht. Wir haben die Vorderachse im Griff, in Barcelona und Montreal war das Auto berechenbarer, fahrbarer. Es hat die Fahrer nicht mehr so überrascht. Wir hätten uns hier in Spielberg auch mehr ausgerechnet, aber wir hoffen vor allem auf das große Update, das in Silverstone kommt. Ferrari war im Qualifying hier in Spielberg richtig schnell. Mal sehen, wie es sich im Rennen auswirkt.

Thema Budgetobergrenze: Man hat ja versucht, Formel-1-Personal auszuklammern – sie in anderen Projekten auszulagern, die letztlich aber doch der Formel 1 nutzen.

Die FIA hat dieses Schlupfloch geschlossen. Heute musst du genau beweisen, wer, wann, wo gearbeitet hat. Du musst es dokumentieren, wenn ein Ingenieur nicht an einem Formel-1-Thema gearbeitet hat. Und die FIA hat jetzt ein Team, das richtig gut ist. Die kommen zu dir ins Haus, wollen mit dem und dem sprechen und alles gezeigt bekommen. Noch einmal: Diese FIA-Leute sind richtig gut geworden, denen kann man kaum was vormachen.

Das heißt, es gibt keine Möglichkeiten zum Tricksen mehr?

Die gibt es immer. Dazu muss aber ein Teamverantwortlicher sagen: Okay, wir schummeln jetzt, wir riskieren es. Wir von Mercedes dokumentieren immer, wann ein Ingenieur nicht mit einem F1-Thema beschäftigt war und wann schon. Die FIA-Aufpasser schauen sich alles an, von E-Mails bis zu Chatnachrichten. Du musst jedes kleinste Designteil erklären, wie es entwickelt worden ist. Unsere Finanzabteilung ist von 15 Mitarbeitern auf 46 gewachsen, ebenso die juristische. Und wenn du etwas nicht zeigst, stehst du unter Generalverdacht. Dann lassen sie erst recht nicht locker.

Der "Cost Cap" hat aber auch bewirkt, dass die Formel 1 ein großes Geschäft geworden ist?

Deshalb wollen immer mehr Investoren in die Formel 1. Selbst das ärmste Team, Williams, bekommt derzeit 85 Millionen von der Formel 1 garantiert. Ohne Sponsor, ohne Paydriver. Da fehlen nur noch 50 Millionen auf die Budgetobergrenze. Für Investoren ist die Formel 1 ein gutes Geschäft geworden.

Der Formel-1-Kalender wächst. Wie gehen Sie mit dem Stress für jedes einzelne Teammitglied um?

Da ist ein ganz entscheidender Punkt. Für uns ist es wichtig, dass nicht jeder alle Rennen macht. Vor allem bei einer Dreierkombination wie Austin/Mexico City/São Paulo. Da sage ich jedem: Such dir ein Rennen aus, das du auslassen willst. Natürlich suchen wir daher auch immer neue Leute.

Wie sieht es mit der Aufstockung der Teams aus? Was spricht wirklich gegen den Einstieg des Teams Andretti-Cadillac?

Ich kann ja heute nicht sagen, ich mach’ ein Fußballteam und will in der Champions League mitspielen. Auf welcher Basis? Wenn ein Team nachweisen kann, dass es große Ressourcen hat, dass sein Geschäftsmodell nachhaltig finanziert wird, dass es nicht wieder peinlich wird wie einst mit Manor oder Marussia, dann ist’s ja okay. Und: Jedes neues Team gräbt zehn Prozent vom Formel-1-Umsatz ab. So muss sich zuerst zeigen, welchen Mehrwert man bringt, um mitspielen zu dürfen.

Mit Lewis Hamilton ist Mercedes ja praktisch schon handelseins. Wann wird die Vertragsverlängerung denn tatsächlich bekannt gegeben?

Wir haben noch nicht alle Details fertig. Aber ich kann sagen, dass wir unseren gemeinsamen Weg weitergehen wollen.