Das "Contract Recognition Board", vor dem Vertragsstreitigkeiten in der Formel 1 verhandelt werden, traf im "Fall Oscar Piastri" eine einstimmige Entscheidung – und zwar zugunsten von McLaren. Alpine, fest davon überzeugt, einen Vertrag mit dem 21-Jährigen aus dem eigenen Nachwuchsteam zu haben, schaut durch die Finger. Und wie. Denn einige durchgesickerte Details zeichnen kein gutes Bild von der Vorgehensweise bei Alpine. Offenbar gab es nie einen rechtsgültigen Vertrag über 2022 hinaus.
Es gab im November 2021 nur eine schriftliche Mitteilung über eine weitere Zusammenarbeit beider Seiten, die zwar auf den Alpine-Unterlagen als "rechtsverbindlich" erklärt wurde, nicht aber auf jenen von Piastri. Für das CRB gab es somit keinen rechtsgültigen Vertrag. Der Australier hatte also tatsächlich "freie Fahrt", als man ihm im Mai seitens Alpine anbot, ihn zwei Jahre bei Williams zu parken, ehe ihm für 2025 ein Stammplatz beim französischen Werksteam in Aussicht gestellt wurde. Eine lange Wartezeit, die für Piastri und Manager Mark Webber nicht akzeptabel war – worauf Letzterer Kontakt zu McLaren aufnahm. Die dortigen Juristen sahen offenbar ebenso wenig bestehende vertragliche Bindungen zu Alpine – nach einem Vorvertrag im Juni kam es am 4. Juli zum Abschluss. Noch mit dem Vorbehalt, dass ein Stammplatz für 2023 von einer Einigung über eine Vertragsauflösung mit Daniel Ricciardo abhängt.
Alpine-Teammanager Otmar Szafnauer macht in der gesamten Affäre keine gute Figur, auch wenn er ins Feld führt, bei der ersten Vereinbarung im November 2021 noch gar nicht bei Alpine gewesen zu sein. Aber offenbar hat er sich nie detailliert über die Rechtslage informiert. Auch seine Position, von Piastris Abgang überrascht worden zu sein, ist kaum glaubwürdig. Piastri selbst widerspricht: Im Laufe der Zeit hätten er und sein Management Szafnauer mehrfach deutlich gesagt, dass man nicht bleiben würde – insofern habe ihn die Ankündigung des Teams, dass er 2023 für Alpine fahren werde, verwirrt. Und nicht nur das: "Es war ziemlich ärgerlich, weil die Information falsch war und mir außerdem die Möglichkeit genommen wurde, mich von allen in Enstone zu verabschieden."
Dass Piastri damals per Twitter der Alpine-Ankündigung widersprach, hatte im Fahrerlager Kritik hervorgerufen. McLaren-Teamchef Andreas Seidl überraschten einige dieser Kommentare "von Leuten, die keine detaillierte Kenntnis von dem hatten, was passierte", wie er in Zandvoort erklärte. "Einige Kommentare waren also unangemessen und nicht fair. Sowohl uns als auch Oscar gegenüber." Schließlich gehe es mitunter auch um die Loyalität der Teams zu ihren Fahrern: "Gerade ein junger Fahrer braucht auch ein bisschen Liebe."
Karin Sturm