Wenn selbst der Verlierer sich am Ende über ein tolles Duell freut, dann sagt das schon sehr viel: „So sollte jedes Rennen sein, wirklich cool. Es war hart, aber fair. Ich habe es sehr genossen, dieses Hin und Her“, sagte Charles Leclerc am Sonntagabend in Jeddah, obwohl er diesmal nach einem epischen Kampf mit Max Verstappen, inklusive mehrerer Positionswechsel und taktischer Spielchen und Tricks von beiden Seiten, am Ende den Kürzeren gezogen hatte.
Der Zweikampf der beiden, der das große, bestimmende Duell dieses Jahres und vielleicht darüber hinaus werden könnte, bestätigte auch: Das neue Reglement in der Formel 1, das ja vor allem mehr Spannung und attraktivere Rennen bringen sollte, funktioniert. „Die neuen Regeln liefern das, was sich ihre Macher zum Ziel gesetzt hatten. Man kann ihnen nur applaudieren, welchen Hype das kreiert. Wir haben zwei spektakuläre Rennen gesehen“, lobte Mercedes-Teamchef Toto Wolff – um mit leisem Bedauern hinzuzufügen: „Wir sind leider nicht dabei im Kampf um die Spitze.“ Auch Ferrari-Teamchef Mattia Binotto war äußerst angetan: „Das war ein großartiges Spektakel, wie hart die beiden Jungs da miteinander gekämpft haben.“ Und auch Red-Bull-Motorsportkoordinator Dr. Helmut Marko freut sich: „So ein spannendes Rennen, unglaublich. Nach letztem Jahr haben wir nicht geglaubt, dass es noch eine Steigerung geben kann, aber jetzt sieht es so aus.“
In Bahrain wurden noch Stimmen laut, dass diese Strecke immer schon viele Überholmanöver produziert hat – Jeddah bewies jetzt, dass es schon an den neuen Groundeffect-Autos liegt. Durch das vereinfachte Hinterherfahren steigt der Showfaktor und die Zahl der Zweikämpfe. Der Kurs zählt trotz seiner langen Geraden zu den Strecken, auf denen Überholen generell schwieriger ist. Im letzten Jahr wurde abzüglich der beiden Restart-Runden nur 18 Mal überholt – diesmal waren es 38 Überholmanöver. Und die hatten alle Qualität – bestanden nicht nur aus einfachem Vorbeifahren mit dem DRS-Vorteil auf den Geraden. Denn danach musste der Angreifer in den nächsten Kurven immer gewaltig aufpassen, um seine Position nicht wieder zu verlieren.
Stärken ausgespielt
Verstappen und Leclerc versuchten dabei, ihre eigenen Vorteile auszuspielen – Speed auf der Geraden gegen bessere Kurvengeschwindigkeit. Leclerc erklärte es so: „Ich wusste, dass die Gerade Red Bulls Stärke ist. Es war also klar, dass Max mich auf Start-Ziel leicht überholen würde, wenn er DRS hat. Beim ersten Zweikampf habe ich deshalb sehr früh gebremst, mir selbst das DRS geholt und ihn damit vor Kurve eins zurück überholt.“ Verstappen räumte anerkennend ein: „Da hat Charles smarte Tricks angewendet. Als ich endlich vor ihm war, konnte ich ihn so nicht abschütteln.“
Beim zweiten Mal „wusste Max natürlich, dass ich das mache, deshalb haben wir beide sehr früh gebremst, aber ich konnte die Nase vorne behalten“, so Leclerc über das spannende Schachspiel jenseits von 300 km/h.
Doch Weltmeister Verstappen behielt die Nerven. Ex-Champion Jenson Button lobte, wie sich der Niederländer seinen Kontrahenten nach den zunächst abgewehrten Angriffen doch noch zurechtlegte: „Da hat Max schnell dazugelernt. Das war ein toller Move“, sagt der Brite über das entscheidende Manöver vier Runden vor Schluss. Auch Leclerc räumte ein: „Beim dritten Mal hat es dann nicht mehr für mich gereicht. Da hat Max einen guten Job gemacht.“
Überholen neu gedacht
Der stellte fest: „Du musst die Überholmanöver heute viel besser planen als früher.“ Weil man einen Gegner nicht mehr abschütteln kann, indem man ihm ein paar Runden lang vor der Nase herumfährt, um seine Reifen zu ruinieren. Weil man nach einem Überholmanöver nie sicher vor einem Konter sein kann. Und weil das DRS noch mächtiger geworden ist, weil der nachfolgende Fahrer vor der Kurve dichter aufschließen und auch dranbleiben kann. Damit muss der Verfolger auf der Gerade weniger Meter gutmachen.
Das beste Beispiel, wie gut die neuen Autos im Zweikampf sind, lieferten die beiden Alpine-Piloten ab. Esteban Ocon und Fernando Alonso fuhren rundenlang gefühlt im Zentimeterabstand und waren trotzdem in der Lage, sich am anderen festzubeißen. Kaum war Alonso am Teamkollegen vorbei, hatte er Ocon schon wieder im Nacken – und umgekehrt. „Vor einem Jahr noch wäre das unmöglich gewesen“, meinte Mercedes-Strategiechef James Vowles. „Die großen Gewinner sind die Formel 1 und ihre Fans“, lautet das Fazit von McLaren-Teamchef Andreas Seidl.
Karin Sturm