Das Auto hat vier Räder, ein Rennen dauert maximal zwei Stunden und am Ende gewinnt immer ein Mercedes. So sah die Realität in den vergangenen Jahren in der Formel 1 zumeist aus. Der Seriensieger dominierte, Lewis Hamilton raste allen davon und am Ende gab es die deutsche Nationalhymne für das siegreiche Konstrukteursteam bei der Siegerehrung zu hören. In der Vorsaison verdrängte aber "Land der Berge" nach und nach "Einigkeit und Recht und ..." und brachte mit Max Verstappen nach sieben Jahren wieder einen Weltmeister, der nicht in einem "Silberpfeil" unterwegs war. Die Dramatik der Entscheidung ist bekannt, die Wunden aufseiten des deutsch-britischen Rennstalls sind nach wie vor nicht verheilt.
Trotzdem gilt das Team von Toto Wolff erneut als einer der großen Favoriten auf den Weltmeistertitel in der Konstrukteurs- und Fahrerwertung, auch wenn man das bei Mercedes ganz anders sieht. "Ich glaube nicht, dass wir um Siege kämpfen werden. Dass wir nicht die Schnellsten sind, ist sicher jedem klar", erklärte Hamilton nach den Testfahrten in Bahrain und betrieb so das schon fast traditionelle Tiefstapeln vor Saisonstart. Oder wie es Ferrari-Pilot Carlos Sainz ausdrückt: "Das ist typisch für sie. Am Ende stehen sie im ersten Rennen dann aber erst wieder auf eins und zwei." Wer von beiden Recht behält, zeigt sich erstmals im Qualifying am Samstag. Während Teamchef Wolff zwar ebenfalls die Favoritenrolle anderen zuschiebt, ist er fest vom neuen Konzept seiner Boliden überzeugt. Denn nicht nur aufgrund der Aussage von Hamilton, seinen Namen um den Nachnamen seiner Mutter (Larbalestier) zu erweitern, war das Team bei den Tests im Mittelpunkt aller Diskussionen.
Die Seitenkästen am neuen W13 sind zwischen den ersten Fahrten in Barcelona und den finalen Testtagen in Bahrain so gut wie verschwunden. Während der Ferrari die volle Breite ausnützt, hat Mercedes fast gänzlich darauf verzichtet. Ein Umstand, der für Aufregung bei anderen Teams sorgte. "Wir haben das alles mit der FIA abgesprochen, es entspricht dem Reglement. Das Konzept ist sicher sehr gut", entgegnet Wolff etwaige Vorwürfe. Formel-1-Sportdirektor Ross Brawn sprach zwar von einer "sehr extremen Interpretation", illegal sei die Herangehensweise von Mercedes aber nicht. Vielmehr hat der amtierende Konstrukteurs-Weltmeister mit einem völlig neuen Phänomen namens "Porpoising" zu kämpfen. Durch die Änderungen im Reglement wird der Abtrieb ("Downforce") ab dieser Saison vor allem über den Unterboden generiert.
Genau dieser macht Mercedes noch zu schaffen, was zu einem "Hoppeln" des Autos führt. Wolff hofft, die Probleme schnellstmöglich zu beheben. "Bei uns lautet das Motto derzeit noch ,Jugend forscht’, wir sind am Unterboden sogar mit der Säge ans Werk gegangen."
Klar ist hingegen bereits, dass Hamilton in diesem Jahr mit George Russell ein anderes Kaliber zur Seite gestellt bekommt. Der 24-Jährige gilt als Riesentalent und hat nun erstmals über eine komplette Saison lang ein Auto, um das auch unter Beweis zu stellen.
Von Matthias Janisch