Während nach dem kontroversiellen Herzschlagfinish am Sonntag in Abu Dhabi vor allem aus Großbritannien kritische Stimmen kamen, gab es vonseiten Red Bulls Kritik an den Einsprüchen von Mercedes. Ob Mercedes gegen die abgelehnten Proteste vorgeht, entscheidet, wie lange das Nachspiel noch dauert.
Erst vier Stunden nach der Zieldurchfahrt mit Verstappen als Sieger und erstmaligem Weltmeister stand zumindest vor Ort fest, dass es ein finales Rennergebnis gibt. Mercedes machte aber umgehend klar, dass man zumindest einen der von den Renn-Stewards abgelehnten Einsprüche so nicht stehen lassen möchte. Die sonst üblichen Mediengespräche mit den Fahrern und Teamchef Toto Wolff fielen jedenfalls ins Wasser. Man werde vorerst nichts Weiteres kommunizieren, hieß es etwa im WhatsApp-Chat zwischen dem Team und Formel-1-Journalisten.
Mercedes hat auf jeden Fall bis Donnerstag Zeit, um in die Berufung gegen die abgewiesenen Proteste zu gehen. 96 Stunden würden dem Team bleiben, bestätigte ein Sprecher am Montag. In der Disziplinar- und Rechtsordnung des Automobilweltverbandes ist die Frist unter Artikel 10.3.1 a) geregelt.
Dass es überhaupt so weit kam, liegt an den komplexen Regularien der Formel 1. Dass sie immer wieder zu Diskussionen führen, zeigte auch die Begründung der vier Rennkommissare Garry Connelly, Felix Holter, Derek Warwick und Mohamed Al Hashmi, mit der sie den Protest abschmetterten. Dazu wiederum bedienten sie sich bemerkenswerterweise auch der Argumente von Red Bull, das Team war als betroffene dritte Partie mit bei der Anhörung. Es ging um Formulierungen und Auslegungen der Begriffe "any" und "all" im englischsprachigen Regelwerk, weil nur fünf statt der acht Wagen sich vor dem Ende der Safety-Car-Phase hatten zurückrunden dürfen.
Es ging darum, dass der Artikel 48.13 den Artikel 48.12 überstimmen könne und dass auch noch Artikel 15.3 dem Renndirektor "übergeordnete Autorität" beim Einsatz des Safety-Cars verleihe, weil dieses nicht wie in der Regel festgeschrieben, erst am Ende der darauffolgenden Runde wieder reingekommen war. Dann wäre das Rennen und die Saison nämlich hinter dem Wagen mit Bernd Mayländer am Steuer zu Ende gegangen.
Der australische Renndirektor Michael Masi, wegen des öffentlich übertragenen basarartigen Handelns via Funk schon eine Woche vorher in der Kritik, argumentierte zudem, dass es schon lange Einigkeit auch mit den Teams gebe, Rennen eben nicht hinter dem Safety-Car zu beenden. Es war die Begründung dafür, warum er das Rennen letztlich doch noch einmal freigegeben hatte.
Die Umstände von Verstappens zehntem Saisonsieg waren natürlich mehr als glücklich. Der 24-Jährige hatte unter normalen Rennumständen keine Chance mehr nach seinem schlechten Start, als Hamilton direkt vorbeigezogen war. Red Bull versuchte zwar alles, zog den Teamkollegen-Joker, als Sergio Perez länger vor einem Reifenwechsel draußen blieb, um Hamilton einzubremsen. Das gelang. Verstappen kam heran, konnte aber nichts ausrichten, als Hamilton den Kampf mit Perez gewonnen hatte.
Die Attacke aber in der letzten Runde passte zum Titelträger 2021. "Er hat es im typischen Max-Stil gemacht", kommentierte Teamchef Christian Horner. Verstappen nutzte die unerwartete Gelegenheit, zeigte keine Nerven und fuhr auf den deutlich schnelleren Gummis, die er noch bekommen hatte, doch noch zum Sieg vor Hamilton. Dieser hatte bis zu Masis Last-Minute-Entscheidung das Rennen überlegen kontrolliert.
Kritik am "Wie" des WM-Ausgangs kam natürlich vor allem aus Hamiltons Heimat. "Das ist inakzeptabel", twitterte etwa Williams-Pilot George Russell, der 2022 bei Mercedes neuer Teamkollege von Hamilton wird. Kurios, dass ausgerechnet Russells Teamkollege Nicholas Latifi mit seinem Unfall sechs Runden vor Schluss das finale Durcheinander und letztlich den kontroversiellen Rennausgang zuungunsten von Hamilton ausgelöst hatte.
"Max ist ein fantastischer Fahrer, ich habe nichts als Respekt für ihn", sagte Russell. "Aber das, was passiert ist, ist absolut inakzeptabel", alterierte sich der 22-Jährige. "Ich kann nicht glauben, was wir da gerade erlebt haben." Auch Ex-Weltmeister Damon Hill gab sich kritisch. "Das ist eine neue Weise, den Sport zu dirigieren mit diesen Ad-hoc-Entscheidungen der Rennleitung", meinte der Brite.
In England, wo man das letzte Formel-1-Saisonrennen wegen Hamilton ins öffentliche Fernsehen verfrachtet hatte, zog die Entscheidung weite Kreise. Selbst Fußball-Nationalteamstürmer Harry Kane brachte sich mit der Überzeugung ein, dass man Hamilton den Titel gestohlen habe. "Ich bin kein Experte. Aber es fühlt sich an, als ob einige seltsamen Regeln einen unfairen Vorteil gebracht hätten. Warum sollte Hamilton für den Crash eines anderen Fahrers bestraft werden?", fragte sich der Tottenham-Star. "Lewis hat unter Hochdruck ein perfektes Rennen abgeliefert und dann nimmt man ihm die Weltmeisterschaft weg. Es ist eine Schande, dass es so enden musste."
Dazu passten die Kommentare in den Zeitungen. .... "die Formel 1 gab der Welt, was sie wollte. Aber indem sie das tat, schien der Sport das Konzept von Fairness, Gerechtigkeit und Chancengleichheit umzukehren. Er drehte ein bisschen am Regelbuch und entschied den Titel im Sinne des versprochenen Dramas und des Spektakels", hieß es etwa in der "Daily Mail".