Mit einem Feuerwerk wird die Formel-1-Saison 2021 am Yas Marina Circuit in Abu Dhabi zu Ende gehen – und das nicht nur in der Minute nach dem Rennen in einer komplexen Lichtchoreografie, sondern schon im Grand Prix davor. Das Finale der Weltmeisterschaft 2021 gilt als der Höhepunkt der, so sagen viele, „besten Saison aller Zeiten“, geprägt von einem epischen Duell zweier der besten Piloten der (auch künftigen) Geschichte. Zwei, die gegensätzlicher nicht sein könnten: Hier Lewis Hamilton, siebenfacher Weltmeister und längst einer der weltweit bekanntesten Vorkämpfer gegen Rassismus und für Diversität. Dort Max Verstappen, bekannt für eine gewisse Rücksichtslosigkeit in Taten und Worten, aber auch für Brillanz und eine evolutionsbedingt zunehmende Reife.
Aber der Showdown der Generationen ist nur das Drama, das dieses Finale zum TV-Weltereignis machen wird – ebenso spannend und imposant ist die Rahmenhandlung und das, was sich hinter den Kulissen dieser Showbühne abspielt. Denn: In nur 18 Monaten ist die als unzeitgemäß kritisierte Formel 1 aus der Schmuddelecke des Sports entkommen – und plötzlich wieder angesagt – mit blendenden Zukunftsaussichten. Trotz Fridays for Future, trotz Corona. Oder sollte man sagen: Dank?
Kein Weltsport hat auf die Pandemie so konsequent und so schnell reagiert wie die Formel 1. Die Rennen in Spielberg im Juli 2020 waren die ersten Sportereignisse von weltweiter Bedeutung nach dem Komplettstillstand und sie wurden möglich durch entschlossenes Handeln und offensive und strikte Sicherheitskonzepte. Dadurch gelang es, ein finanzielles Fiasko zu vermeiden.
Einigkeit trotz Titelkampf
Und auch wenn der zum Teil auf tiefstem verbalen Niveau verlaufende Zweikampf zwischen Red Bull und Mercedes vieles Gute übertönt, ist es doch so, dass die Rennställe der Formel 1 in den wesentlichen internen Entscheidungen schon seit Jahrzehnten nicht mehr so geeint waren. Wochen nach Ausbruch der Pandemie wurde die Budgetobergrenze von den eben erst angedachten 175 Millionen Dollar auf 145 Millionen gesenkt, 2023 sind es dann 135 Millionen. Für die Teams mit ihrer überdimensionierten Infrastruktur sind das massive Einschnitte, doch die Nachhaltigkeit ist enorm: Mercedes macht schon jetzt ein Plus mit dem Bau eines Formel-1-Autos, bald soll auch die Motorenentwicklung mehr Geld bringen, als sie kostet.
Alle Teams können damit rechnen, künftig mit Gewinn abzuschließen – was es Autokonzernen wesentlich leichter machen wird, ihr Engagement im teuersten Sport der Welt gegenüber den Mitarbeitern zu rechtfertigen. So zeigt sich nun auch der Volkswagen-Konzern an einem Einstieg interessiert, Honda – das an diesem Wochenende offiziell aussteigt – soll schon wieder überlegen, 2026 zurückzukommen.
Nachhaltigkeit ist freilich auch und vor allem beim Thema Schadstoffe gefragt. Auch hier haben die Formel-1-Vordenker rund um die amerikanischen Eigentümer der Liberty-Gruppe agiert statt reagiert. Bis 2030 will die Königsklasse des Motorsports CO2-neutral sein, die Saison 2019 wurde noch mit einem Ausstoß von 256.651 Tonnen berechnet. Gerne spielen die „Petrolheads“ der Konzerne dabei den Ball weiter und erwähnen, dass die Fußball-Weltmeisterschaft 2018 im Vergleich nahezu 2,2 Millionen Tonnen CO2 produziert habe.
Regeländerung als Chance
2026 kommt in der Formel 1 jene Regeländerung, mit der man der Formel E den Stecker gezogen hat. Mit erhöhtem Elektroanteil und 100 Prozent synthetischen Kraftstoffen (E-Fuels) können auch Konzerne argumentieren, warum sie in der Formel 1 unterwegs sind. Ellen Lohr, früher selber Rennfahrerin und nun Motorsport-Chefin der Grazer AVL, die auch massiver denn je in die Formel 1 involviert ist, rechnet vor: „Hybridisierung, Elektrifizierung, Digitalisierung. Wir sind nun wieder diejenigen, die das auf einem High-End-Level vorantreiben können. Das ist der Grund, warum der Motorsport eine so große Rolle spielen kann, wenn es um die Entwicklungen für die Serie geht.“ Lohr spricht von einem „Thinktank Rennsport“.
Aber wenn es um den Boom in der Formel 1 geht, muss man auch auf das Purste verweisen, das diese Bewegung groß gemacht hat: Emotion.
Der Erfolg der Formel 1 ist sehr stark auf Emotionen aufgebaut. Das Fahrerfeld ist vielfältig, widersprüchlich, sowohl im Denken als auch im Lebensalter. Routiniers wie der (am Sonntag zurücktretende) Finne Kimi Räikkönen oder der ewigen „Don Quijote“ Fernando Alonso haben weltweit ihre Fans – wie auch eine extrem junge Generation von Piloten, die zwischen 1996 und 1999 geboren wurden. Diese Fahrer – vom Niederländer Verstappen über die frankophonen Jungstars Charles Lerclerc und Pierre Gasly bis zu der starken britischen Fraktion rund um Lando Norris und George Russell bedienen eine völlig neue Zielgruppe und begeistern sie mit transparenter Omnipräsenz auf Social Media. Sie interagieren öffentlich und nehmen eine komplett neue Fanschicht mit in ihre Welt.
Der Boom, so weiß Mercedes-Teamchef Toto Wolff, ist aber auch stark durch eine Dokumentation beflügelt. Seit „Netflix“ den Formel-1-Stars für die Reihe „Drive to Survive“ auf Schritt und Tritt folgt, hat der Sport sogar die ewig unerreichbaren USA erobert. Mehr als 400.000 Fans kamen zum Rennen in Austin, nun kommt ein Rennen in Miami dazu. Selbst die berühmte US-Rennfahrerfamilie Andretti ist wieder im Formel-1-Fieber. Kürzlich wollte das Motorsport-Imperium den Schweizer Rennstall Sauber/Alfa Romeo Racing kaufen. 400 Millionen Dollar wurden geboten, doch den aktuellen Eigentümern war das zu wenig. Alle setzen auf eine weiter steigende Aktie Formel 1 – eine die das Wort „Grand Prix“ nun eindeutig übersetzt. In – „Großer Preis“.
Gerald Enzinger