Welch wundersame Fügung. Die eben noch türkis angehauchte Wasseroberfläche verwandelt sich im Antlitz der untergehenden Sonne in ein sanftes Rot. Der Name des Meeres scheint Programm zu sein. Die Ampel für die Formel 1 in Saudi-Arabien ist am Freitag jedoch auf Grün gesprungen. Wo 48 Stunden zuvor noch eine auf die Fertigstellung in einigen Monaten hinweisende Baustelle den Ausblick auf die Corniche von Jeddah, die Promenade, empfindlich störte, breitet sich nun eine blitzsaubere, fast lupenreine Grand-Prix-Rennstrecke aus, die schon vorab als die schnellste Piste im Formel-1-Zirkus geoutet worden war.
Die Stunden vorher noch vom nahen Wüstensand der Halbinsel verschleierte Luft gewährt nach Einbruch der Dunkelheit und bei nun schon angenehm milden 28 Grad einen klaren Blick auf die zum ersten Mal nach Saudi-Arabien geladenen Gäste. Die Top-Piloten Max Verstappen und Lewis Hamilton sowie deren im Verlauf der Saison zu Statisten degradierten Kollegen der Fahrerweltmeisterschaft 2021 rasen an diesem Wochenende in Jeddah und am nächsten in Abud Dhabi in die Entscheidung eines seit Monaten grassierenden Wettrennens um die Vorherrschaft in der Eliteklasse.
Als Spektakel von weltumspannendem Ausmaß gilt die Formel 1 als besonders leistungsstarker Motor einer Antriebsmaschinerie, die der Umsetzung eines von Kronprinz Mohammed bin Salman ins Leben gerufenen, extrem ambitionierten Regierungsauftrags globale Aufmerksamkeit verleiht. "Vision 2030" nennt sich das Programm, das laut Konrad Pesendorfer, vormals Chef der Statistik Austria und seit 2020 oberster Hüter der Statistik Saudi-Arabiens, auf drei Säulen ruht, nämlich "die Wirtschaft voranzubringen, die Gesellschaft zu reformieren und einen modernen Staat zu errichten".
Imagepflege der besonderen Art
Der zweite Aspekt ist dem Kronprinzen ein besonderes Anliegen, gilt es doch, das im westlichen Ausland durchaus angeschlagene Image des Reichs aufzupolieren. "Die Menschen, die jetzt hierherkommen, nehmen ein völlig anderes Bild von Saudi-Arabien mit als jenes, das sie vorher vermittelt bekommen haben", erklärt Georg Pöstinger, der österreichische Botschafter in Riad, der in den vergangenen Jahren auf sieben Millionen Bewohner angewachsenen Hauptstadt.
Vor allem die Rolle der Frauen wird seit einigen Jahren einem konstanten Wandel unterzogen. "Sie drängen mittlerweile in fast alle gesellschaftlichen Bereiche", meint Pöstinger. Dass etwa das PR-Management des in Riad ansässigen Fußball-Klubs Al Nassr in weiblicher Hand liegt, schien bis vor wenigen Jahren noch völlig undenkbar. Generell spielt der Sport im Zuge der tiefgreifenden Veränderungen eine bedeutende Rolle.
Nach außen sichtbar wird diese tiefgreifende gesellschaftliche Transformation etwa in den vollkommen aufgehobenen Bekleidungsvorschriften. Die Zahl der Unverschleierten steigt stetig an, die Enthüllung des seit Jahrhunderten von Familienclans beherrschten und lange verschlossenen Landes ist freilich kein schlagartiges Phänomen, sie entspricht einer schleichenden Revolution. Die Bevölkerung sei im Groben in drei Gruppen einzuteilen. 15 bis 20 Prozent gehörten zu den Reformern, ebenso viele würden eine ablehnende Haltung einnehmen. Die in der Mitte zwischen den Extremen liegende Mehrheit duldet den Prozess. "Man muss ihnen Zeit geben", sagt der seit vielen Jahren in Saudi-Arabien wirkende Botschafter.
Unermessliche Vorräte
Dabei entsprechen so manche Taten nicht zwingend der Langsamkeit. Dem Tempo der Königsklasse des Motorsports entsprechend wurde der Corniche Circuit in Jeddah binnen weniger Monate am Roten Meer aus dem Uferboden gestampft. Die langfristige Planung gehört nicht zu den ausgeprägten Eigenschaften des saudischen Gemüts. Dieser Gedanke wird auch bei zahlreichen weiteren Großprojekten intensiv ausgelebt. Eine weitere Formel-1-Rennstrecke ist übrigens nahe Riad geplant. Es ist davon auszugehen, dass sie in Kürze errichtet sein wird.
Für solche Vorhaben haben die Saudis ein buchstäblich goldenes Händchen, denn die finanziellen Mittel sind schier unerschöpflich, auch wenn die unermesslichen Vorräte der Schatzkammer der Öl-Magnaten langsam zurückgehen. Ob sie bis ins Jahr 2021 nach islamischer Zeitrechnung Bestand haben werden, steht im Halbmond. Nach dem aktuellen Stand dieses Kalenders schreiben wir das Jahr 1443.