Entsprechend dem Regelwerk wurde Lewis Hamilton beim Großen Preis von Großbritannien in Silverstone mit einer 10-Sekunden-Strafe belegt, weil er im Grunde der Auslöser bzw. der mehr Schuldige im Crash mit Max Verstappen in der ersten Runde war. Die Sportkommissare hatten damals wohl richtig argumentiert, die Strafe war natürlich aus der Sicht der Red-Bull-Leute ein Witz. Helmut Marko forderte gleich ein einem Sky-Interview eine Sperre, Teamchef Christian Horner stellte Hamilton als "Aggressor" hin, der gefälligst zur Rechenschaft gezogen werden müsse.
"Causing a collision" heißt es im Rennenglisch, also Auslösen einer Kollision. Da wird immer ein Schuldiger gesucht. Jetzt stellt sich natürlich die Frage, welche neuen Erkenntnisse, Fakten, Daten, Videos das Red-Bull-Team ins Rennen schicken könnte, um eine Neuaufrollung des Unfalls zu bewirken.
Weil laut internationalem Sportkodex der FIA muss es schon relevante Verdachtsmomente geben, die zum Zeitpunkt der ersten Urteilsfindung (10-Sekunden-Strafe) noch nicht verfügbar waren. Die Sportkommissare haben ja grundsätzlich Zugang zu allen erdenklichen Daten. Sie bekommen Telemetriedaten zugespielt, können immer wieder Videos aus allen erdenklichen Perspektiven abrufen. Da ist es schwer, "new evidences", neue Beweise, zu finden.
Und am Silverstone-Sonntag machten sich alle ganz, ganz schlau, versuchten von Anfang an, die Rennleitung zu beeinflussen. Toto Wolff, Mercedes-Teamchef, schickte Rennleiter Michael Masi sogar eine Skizze, was nun beim Überholen laut Regelwerk zu beachten sei. Wem nun eine Kurve gehöre, welche Linie es zu beachten gilt, wer die Nase wann vorne haben muss etc., etc.
Eingangs der Copse-Kurve waren Verstappen und Hamilton wohl gleich auf. Es heißt aber auch, die Kurve gehöre nur dann einem Fahrer, wenn er sie auf der eingeschlagenen Linie auch sauber durchfahren kann. Bei einem Crash ist das im Nachhinein freilich nur schwer feststellbar. Die Streckenaufsicht argumentierte dann auch, die Kurve gehöre zwar Hamilton, aber sein Manöver war nicht ganz sauber. Treffend formuliert.
Regeln sind Regeln. Aber bei einem Crash geht es immer auch darum, wie sich ein Fahrer verhält, wie weit er sich traut, Regeln auszureizen. Das Glück für Red Bull könnte nun sein, dass sich in diesem Rennen gleich zwei ähnliche Situationen in Copse-Corner ereigneten. Immer mit Hamilton.Während er in Runde eins Max Verstappen überhaupt keinen Platz ließ, fast in der Straßenmitte fuhr, lenkte er später, im Duell mit Charles Leclerc, viel, viel weiter nach rechts, nach innen. Leclerc musste zwar auch in den Notausgang, eine Kollision konnte aber vermieden werden.
Gut möglich, dass Red Bull bei der virtuellen Anhörung am Donnerstag da ansetzt. Um Hamilton eine noch größere Schuld anzulasten, fast schon Absicht zu unterstellen. Sollte die neuen Fakten die Sportkommissare in Ungarn überzeugen, wird der Fall neu aufgerollt, müssen sich die "FIA-Aufseher" von Silverstone noch einmal mit dem Fall beschäftigen.