Lewis Hamilton fährt seine 15. Saison in der Formel 1. Er ist siebenfacher Weltmeister und steht im Schnitt in zwei von drei Rennen auf dem Podest. 100 Poles und 98 Siege stehen zu Buche. Alles Rekorde. Und Hamilton ist schwarz. Er ist der einzige aktive schwarze Fahrer in der höchsten Motorsportklasse. Nur einmal, es war 1986 in Estoril, stieg ein anderer dunkelhäutiger Rennfahrer in einen F1-Boliden: Willy T. Ribbs. Zu einer Grand Prix Teilnahme kam es für ihn allerdings nie.
Mit Sicherheit können sich noch viele an den Tennisboom durch Thomas Muster erinnern. Nach seinem Titel bei den French Open 1995 griff halb Österreich zum Schläger. Warum passiert Gleiches nicht in der Formel 1? Hamilton ist für viele ein Vorbild, aberauf den Teamfotos der einzelnen Rennställe findet sich kaum ein dunkelhäutiges Gesicht. Er fühle sich alleine und habe 15 Jahre gewartet, dass sich die Branche ändern würde, so Hamilton. Bis er realisierte, er müsse selbst etwas unternehmen.
Deshalb ist die von Lewis Hamilton veröffentlichte Diversitätsstudie nicht nur als Studie, sondern viel mehr als Aktionsplan zu verstehen. Mehr Diversität im Motorsport sei für ihn die "wertvollste Sache", sagte der Engländer gegenüber "BBC Breakfast". Wertvoller als noch ein Titel, lässt sich vermuten. Es würde ein "Teil seines Vermächtnisses" sein.
2019 gründete der 36-jährige Mercedes-Pilot die sogenannte Hamilton-Kommission, die sich aus Experten und teils hochrangigen Mitgliedern zusammensetzt. Auf 93 Seiten finden sich mitunter zehn Handlungsempfehlungen, um den britischen Motorsport inklusiver zu gestalten.
In Großbritannien sind sieben der zehn F1-Teams und über 4000 daran involvierte Unternehmen zuhause. Mehr Diversität ist der Studie zufolge nicht nur notwendig, sondern auch förderlich: Die Wahrscheinlichkeit von Unternehmensgewinnen über dem nationalen Durchschnitt steigt auf bis zu 30 Prozent.
Dennoch: Schätzungsweise ist weniger als ein Prozent der Arbeitskräfte in der Formel 1 schwarz oder einer anderen ethnischen Minderheit angehörig. Seit Black Lives Matter und Hamiltons Engagement haben sich einige Teams ansprechende Diversitätsziele gesteckt. Es fehlt aber eine gelebte Kultur. Für viele der Betroffenen ist das nichts weiter als Show und leere Worte.
Bleibt zu hoffen, dass der Motorsportverband FIA seinen Reformgedanken treu bleibt und nicht nur regelmäßig das Reglement für die Rennen selbst ändert - wie etwa kommendes Wochenende mit den Sprintrennen in Silverstone - sondern auch abseits der Strecke für Veränderungen sorgt. Jean Todt, Präsident der FIA, will den Diversitätsreport in den nächsten Tagen jedenfalls sorgfältig überprüfen.
Die zehn Handlungsempfehlungen der Studie beziehen sich auf drei Bereiche: Unterstützung und Empowerment, Rechenschaftspflicht sowie Inspiration und Beteiligung. Unter anderem fordert die Kommission die Verantwortlichen dazu auf, schwarze Kinder zu unterstützen, damit sie in MINT-Fächern (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik) herausragende Leistungen erbringen können. Die bestehenden Ungerechtigkeiten in der Branche sollen anerkannt und protokolliert werden, und verpflichtende Veränderungen sollen folgen. Außerdem soll das Gefühl vermittelt werden, dass auch schwarze Menschen Teil des Motorsports und des Ingenieurswesens sind. Die Hautfarbe soll nicht deren spätere Jobchancen definieren.
Möglich machen sollen dies Änderungen wie eine Diversitäts- und Inklusionscharta für alle Teams und mehr Lehrplätze und Stipendienprogramme speziell für schwarze Studierende. Auch ein Fond ist angedacht. Dieser soll zur Lösung struktureller und systemischer Probleme beitragen - insbesondere im Ausbildungsbereich. Im Ingenierswesen sind nach Studienabschluss doppelt so viele Schwarze (14%) wie Weiße (7%) arbeitslos.
Der siebenfache Weltmeister will auch einen finanziellen Beitrag leisten. Zudem forciert er eine Zusammenarbeit mit seinem Mercedes-Team, mit der F1, der Motorsportindustrie, mit Hilfsorganisationen und anderen Vereinen.
Dass es Hamilton mit dem Kampf gegen den Rassismus ernst meint, sieht man nicht zuletzt auf seinen Social-Media Kanälen. Nach Englands Finalniederlage bei der Fußball-EM bekamen insbesondere die drei jungen schwarzen Spieler Marcus Rashford (23), Jadon Sancho (21) und Bukayo Saka (19) die hässliche Seite des Sports zu spüren. Eine Welle an rassistischen Beleidigungen flutete das Internet und auf Twitter trendete der Hashtag #SayYesToRacism. Die Gesellschaft müsse endlich an einen Punkt kommen, an dem schwarze Sportler nicht nur nach Siegen akzeptiert werden, so Hamilton.
Lukas Bayer