Am Donnerstag war er das erste Mal wieder an der Rennstrecke in Bahrain und bedankte sich bei seinen Ersthelfern, am Freitag stellte sich Romain Grosjean in einer Videokonferenz der internationalen Presse. Seinen Feuerunfall vom letzten Sonntag im Detail analysierend, einerseits sachlich, andererseits auch sehr emotional.
„Es waren 28 Sekunden im Feuer, hat sich aber viel länger angefühlt. Das Erste, was ich gemacht habe, war mich abzuschnallen. Ich dachte, ich hätte das Lenkrad weggenommen, aber man hat mir gesagt, dass die Lenksäule gebrochen war und es zwischen meinen Beinen lag.“ Doch der Weg nach draußen, hinaus aus der Flammenhölle, schien versperrt: „Als ich rauswollte, habe ich mir den Kopf angestoßen. Ich drehte mich nach links, und hab wieder den Kopf angestoßen. Ich habe überall Feuer gesehen. Ich musste an Niki Lauda denken, steckte fest.“
Für den 34-Jährigen der Moment, in dem er fast schon aufgeben wollte. „Dann hat sich mein Körper entspannt. Ich war im Reinen mit mir und dachte, ich würde sterben. Ich habe mich gefragt, wo es anfängt, wann beginnt der Schmerz, wenn ich verbrenne? Das waren real bestimmt nur Sekundenbruchteile. Dann musste ich an meine Kinder denken. Ich dachte: ‘Die können ihren Papa nicht heute verlieren!'”
Das gab dem Haas-Piloten genug Energie, um doch weiter zu kämpfen. „Ich lehnte mich nach links hinüber, um mich aus dem Auto zu schlängeln, dieses Mal kam ich mit den Schultern durch, mein Schuh blieb im Auto hängen. Meine Handschuhe wurden schwarz, nun kam der Schmerz. Ich spürte aber auch Erleichterung, dass ich raus bin. Das Nächste, was ich spürte, war, dass jemand an meinem Overall zieht und wusste: Ich bin nicht mehr allein.”
FIA-Arzt Ian Roberts und Medical-Car-Pilot Alan van der Merwe waren als Erste zur Stelle. „Ich habe meine Hände geschüttelt, weil sie wehgetan haben“, erinnert sich Grosjean. „Es fühlte sich an, als würde die Haut schmelzen. Ich habe sofort die Handschuhe ausgezogen. Ian Roberts hat mich dann angeschrien: ‘Setz dich hin!’ Ich habe ihn daraufhin gebeten, er soll normal mit mir sprechen.“
Grosjean wollte als Erstes allen zeigen, dass es ihm gut geht, vor allem seiner Familie. Deswegen wollte er auch unbedingt auf eigenen Füßen zum Krankenwagen gehen, der ihn ins Medical Centre brachte: „Sie haben gesagt, dass ich auf die Trage warten soll, aber ich wollte unbedingt gehen. Mir war wichtig, dass man Bilder sehen kann, dass es mir gut geht und dass ich zum Rettungswagen gehen kann.“
Die Aufarbeitung des Geschehens liegt freilich noch vor ihm: „Das Schlimmste für mich ist nicht, was ich erlebte, ich habe keine Albträume, ich habe keine Flashbacks. Aber ich werde dennoch mit Psychologen sprechen, um das alles zu verarbeiten“ - mit einem Mentaltrainer arbeitet der Franzose ja schon seit Langem zusammen. „Das Schlimmste ist aber für mich, was ich meinen Lieben angetan habe, meiner Familie, meinen Eltern, meinen Freunden. Sie dachten fast drei Minuten, dass ich sterben werde. Das treibt mir die Tränen in die Augen. Die Kinder waren besorgt, dass ich ganz verbrannt und schwarz sein würde. Mein fünfjähriger Sohn konnte nicht verarbeiten, dass ich selbst ausgestiegen bin. Er glaubt, ich bin geflogen. Deswegen glaubt er jetzt, ich bin ein Superheld.”
Worauf er hofft: Dass die FIA aus der Untersuchung seines Unfalls Erkenntnisse für weitere Verbesserungen im Bereich Sicherheit gewinnen kann. Vielleicht könne er das tun, was Jules Bianchi für ihn getan habe. „Durch die Erfahrung meines Unfalls anderen zu helfen. Das wäre ein tolles Vermächtnis.“ Dass er selbst einmal einer der größten Gegner des Cockpitschutzes Halo war, der ihm jetzt das Leben rettete, ist ihm sehr bewusst. „Aber nur dumme Menschen ändern ihre Meinung nicht. Ich würde heute in kein Rennauto ohne Halo mehr steigen.“
Dass er noch einmal zurück ins Cockpit will, auch wenn er für 2021 keinen Formel-1-Vertrag mehr hat, ist auch Teil der Bewältigung. Als er zurück an die Rennstrecke kam, wollte er zuerst das Wrack seines Autos sehen. „Ich wollte feststellen, ob ich panisch werde. Aber ich blieb ganz ruhig. Also sehe ich keine mentale Hürde, um wieder Rennen zu fahren. Ich habe meiner Familie gleich gesagt: ‘Ich fahre in Abu Dhabi.’ Sie waren nicht begeistert. Aber ich habe gesagt, dass ich da egoistisch sein und das für mich versuchen muss. Wenn es in Abu Dhabi nicht funktioniert, dann rufe ich bei jedem Team an und bitte um ein paar private Runden im Januar, nur für mich.“
Denn dass Abu Dhabi in einer Woche alles andere als sicher ist, ist ihm auch bewusst: „Meine linke Hand brauche ich noch 60 Jahre. Mir ist das Rennen wichtig, aber ein Rennen ist nicht so wichtig wie der Rest meines Lebens. Verbrennungen sind leider keine genau vorhersehbare Wissenschaft. Ich bin da jetzt Fachmann. Die Hände haben große Blasen, das ist ein Anblick, der keiner gerne sieht. Was ich nicht machen werde – meine langfristige Gesundheit riskieren. Wenn also die Ärzte sagen: Du kannst in Abu Dhabi fahren, aber das hat Schäden zur Folge, dann werde ich nicht einsteigen.“
Karin Sturm