Wenn Nico Rosberg ein Lob für Sebastian Vettel übrig hat, obwohl der nur auf dem sechsten Platz gelandet ist, dann muss schon viel passiert sein. Denn Freunde waren die beiden deutschen Formel-1-Weltmeister noch nie, werden es wohl auch nie mehr werden. Aber jetzt, nach dem Großen Preis von Ungarn, nahm Rosberg Vettel vor jeder Kritik in Schutz: „Er hat doch das Optimale aus den Möglichkeiten gemacht. Mehr als Platz sechs war nicht drin. Der Ferrari lag katastrophal, schaut euch doch nur an, wo Charles Leclerc gelandet ist“.
Platz sechs für einen tapferen Vettel, elfter Rang und damit keine Punkte für Leclerc, beide roten Renner überrundet: Das Ferrari-Pferd lahmt weiter. Der Deutsche und der Monegasse haben zu wenig Motorleistung – selbst auf einer Strecke wie dem Hungaroring, auf dem die Power eine wesentlich geringere Rolle spielt als anderswo: Wie das in Silverstone, Spa oder Monza aussehen wird, muss für Ferrari eine reine Horrorvorstellung sein.
Natürlich hat man sich das Problem durch die Mauscheleien der Vergangenheit selbst eingebrockt. Teamchef Mattia Binotto gab jetzt erstmals offen zu, was sowieso schon alle wussten: dass das Einschreiten der FIA Ferrari eingebremst hat. „Regeln sind schwierig und komplex. Es gab seit dem letzten Jahr viele Technische Direktiven und Klarstellungen in einigen Bereichen der Regeln. Auf einige dieser Technischen Direktiven mussten wir uns selbst anpassen. Wir als Ferrari mussten uns sicherlich darauf einstellen und als einfache Konsequenz haben wir Performance verloren.“ Und konnte es dann trotzdem nicht lassen, wieder zu relativieren: „Ich glaube aber nicht, dass das nur bei Ferrari der Fall ist. Wenn ich auf die Leistungsdaten blicke, mussten sich die meisten Motorhersteller darauf einstellen“, so Binotto.
Mit dieser Meinung steht er allerdings ziemlich allein da – Mercedes-Sportchef Toto Wolff ärgerte sich so darüber, dass er buchstäblich Rot sah: „Das ist eine weitere totale Bullshit-Story! Technische Richtlinien. Es gibt klare Regeln für die Power Units und es gab in Austin Klarstellungen, was erlaubt ist und was nicht. Das war wichtig, aber nicht überraschend. Wenn man sich an die Regeln gehalten hat, war das ohnehin klar.”
Aerodynamisch ist der Ferrari auch nicht gut, mechanisch wohl ebenfalls nicht – siehe die Dauerprobleme mit der schlechten Straßenlage. Dazu kommen immer wieder strategische Fehler des Kommandostand wie die Reifenwahl auf dem Hungaroring oder der Zeitpunkt des Boxenstopps. Charles Leclerc, als erster der beiden Ferrari-Piloten an die Box geholt, bekam die weichen Reifen – dass die die schlechteste Wahl sein würden, hätte man im Voraus ahnen können. Vettel hatte man zwei Runden später ebenfalls die Softs aufziehen wollen, doch der sagte seinem Renningenieur klipp und klar: „Ich will die Mediums“ - und bekam sie dann auch. Der Funkverkehr war eindeutig – trotzdem nahm der Heppenheimer sein Team wieder einmal in Schutz, wiegelte ab: “So etwas entscheiden wir als Team. Eine Runde vorher waren die Bedingungen noch ganz anders.” Dabei machte Ferrari bei ihm noch einen zweiten Fahler: Man holte Vettel zu einem so unglücklichen Zeitpunkt an die Box, dass er nach dem Reifenwechsel sekundenlang fest geklebt blieb, weil in der Boxengasse ein Konkurrent nach dem anderen daherkam. Als es eine Lücke gab, schlief der zuständige Ferrari-Mitarbeiter offensichtlich, Vettel musste noch länger warten.
In Italien gerät Teamchef Binotto inzwischen immer weiter in die Kritik. Seine Ablösung stünde bevor, wollen italienische Medien wissen, möglicherweise sogar noch vor Saisonende. Als Nachfolger wird der 53jährige Antonello Coletta ins Gespräch gebracht. Der Römer mit Abschluss und Wirtschaft und Handel begann vor mehr als 30 Jahren im Motorsport zu arbeiten, stieß 1997 zu Ferrari, und leitet seit 2014 das Gesamtprogramm Sport, wo er sich vor allem um die GT-Einsätze von Ferrari kümmert.
Karin Sturm