Die lange Pause hat der Formel 1 zumindest in einem Punkt nicht geschadet: Unterhaltsam war das Auftaktrennen der Saison 2020 in jedem Fall – auch wenn Masken, Abstandregeln und fehlende Zuschauer schon deutlich weniger Atmosphäre als sonst aufkommen ließen. Und auch wenn der Sieger Valtteri Bottas hieß, und sich letztlich bestätigte, dass Mercedes unter normalen Umständen deutlich das schnellste Auto hat: Der Rest des Podiums mit Charles Leclerc im Ferrari und Lando Norris im McLaren war schon eine gewaltige Überraschung.
„Der Druck im ganzen Grand Prix war extrem hoch. Ich hatte Angst um meinen Wagen, wir mussten mit dem Auto behutsam umgehen, wegen Problemen mit den Getriebesensoren“, war Bottas nach der Zielflagge erleichtert. „Es ist nie leicht, ein Formel-1-Rennen zu gewinnen. Am Anfang fühlte ich, dass ich den Grand Prix von der Spitze aus kontrollieren kann, aber dann begannen die Sensoren zu spuken. Zum Glück waren meine Re-Starts sauber, und ich konnte sie schon mal für das nächste Rennen hier üben. Ich bin froh, dass es unsere beiden Autos ins Ziel geschafft haben, das ist auch ein solides Ergebnis in der Team-Wertung. Das ist für mich ein toller Start in die Saison.“
Drei Safety-Car-Phasen und zahlreiche Strafen sorgten für einiges Durcheinander. Im Falle von Weltmeister Lewis Hamilton begann das schon eine gute Stunde vor dem Start: Im Qualifying hatte der Brite eine gelbe Flagge missachtet, die FIA hatte am Samstag aber ursprünglich von einer Bestrafung abgesehen, weil es missverständliche Signale zur gleichen Zeit gegeben hätte. Red Bull trieb daraufhin Aufnahmen einer anderen Kamera auf, die deutlich zeigen, dass die Gelb-Anzeige aus seiner Cockpot-Perspektive sehr wohl deutlich sichtbar war, verlangte eine Neubetrachtung – und tatsächlich bekam Hamilton eine 3-Plätze-Strafe und musste von Platz fünf starten. Er arbeitete sich dann aber schnell hinter Bottas auf Platz zwei vor, kam aber nie zu einem richtigen Angriff, auch weil die Mercedes-Box beide Fahrer immer wieder ermahnte, aus Sicherheitsgründen vorsichtig zu sein und von den Randsteinen wegzubleiben.
Nach der letzten Safety-Car-Phase, in der die beiden Mercedes-Piloten auf einen Reifenwechsel verzichteten, sah er sich unter Druck von Alex Albon, der neue weiche Gummis aufgezogen hatte, um die Ehre von Red Bull beim Heimspiel zu retten, nachdem sich Max Verstappen schon nach wenigen Runden wegen technischer Probleme verabschieden musste. Albon schien mit seiner Risiko-Strategie auch Erfolg zu haben, war schon fast vorbei, als Hamilton mit seinem Vorderrad sein Hinterrad berührte, ihn umdrehte – und dafür eine auch unter Experten allerdings umstrittene 5-Sekunden-Strafe kassierte. „Hätte man auch als Rennunfall durchgehen lassen können“, meinte RTL-Experte Christian Danner. Um 0,198 Sekunden hinter Norris verpasste der Weltmeister so als Vierter das Podium. „Aber eines ist sicher“, analysierte auch der Weltmeister von 2016, Nico Rosberg, „Mercedes hat auch in diesem Jahr wieder das schnellste Auto. Vielleicht sogar noch deutlicher als in der letzten Saison.“
Sebastian Vettel erlebte einen erneuten Rückschlag: Nach dem Rausschmiss durch Ferrari, dessen Begründung mit der Corona-Krise durch Ferrari-Teamchef Mattia Binotto im Fahrerlager für einige hochgezogene Augenbrauen sorgte, und der Erkenntnis, dass das diesjährige Auto noch weniger konkurrenzfähig ist als gedacht, brachte ihn im Rennen ein Fehler um alle Chancen: Bei dem Versuch, Carlos Sainz jr., seinen Nachfolger bei Ferrari 2021 zu überholen, verbremste er sich, das rechte Vorderrad blieb stehen, ein Dreher war die Folge, der ihn ans Ende des Feldes zurückwarf. Am Ende blieb ein enttäuschender zehnter Platz, während Teamkollege Leclerc alle sich bietenden Chancen nutzen und aufs Podium fahren konnte, „auch wenn da heute natürlich die Umstände schon ein bisschen mitgespielt haben“, wie der Monegasse zugab. „Eigentlich sind wir deutlich zu langsam und haben noch viel Arbeit vor uns.“
Vettel versuchte, den Verbremser mit grundsätzlichen Problemen an seinem Auto zu erklären: „Das war ja nicht der einzige heute. Ich hatte unheimliche Mühe, das Auto auf der Strecke zu halten, das geht seit gestern so. Das ist nicht mehr das Auto, das ich am Freitag hatte“ - da war er ja noch konstant schneller als Leclerc gewesen. „Seit Samstag haben wir verzweifelt versucht, Stabilität auf die Hinterachse zu bringen, immer mehr Frontflügel weggenommen, es hat alles nichts genützt.“
Karin Sturm