Nach der längsten Renn-Pause ihrer Geschichte beginnt die Formel 1 ausgerechnet dort mit ihrer Saison 2020, wo auch Ihre Motorsport-Karriere einst ihren Anfang genommen hat: in Spielberg.
TOTO WOLFF: Ja, das ist etwas Besonderes und als Österreicher schwingt auch ein bisschen Stolz mit. Toll, dass es Red Bull und der Regierung gelungen ist, das möglich zu machen.
Vor knapp drei Jahrzehnten haben Sie genau hier selbst als Rennfahrer debütiert. In einem Rennen zum Seat Ibiza Cup.
Das Geld kam von der Großmutter, das Auto war geleast. Der Motor war noch neu, weshalb man mir den Tipp gegeben hat, auf der Schnellstraße noch einige Kilometer zu fahren. Es hatte ja eine normale Straßen-Zulassung. Später bin ich am Österreichring dann auch Formel Ford gefahren, etwa gegen Alex Wurz.
Wie eng war das Duell?
Ich war von den Zeiten her gar nicht so weit weg, aber doch habe ich beim Knapp-hinter-ihm-Herfahren gemerkt, dass der irgendwas ganz anders macht und besser kann als ich. Etwa im Bereich der beiden Linkskurven im Innenfeld, die hat er immer ganz anders hinbekommen als ich. Es war einer der Momente, die mir aufgezeigt haben, dass ich als Rennfahrer offenbar doch Grenzen habe.
Sie haben ja sogar kurz in Spielberg gelebt, oder?
Ich habe als Instruktor für die Walter Lechner Racing School gearbeitet und direkt neben dem Gelände auf einem Bauernhof gewohnt. Das war eine interessante Zeit.
2014 kam dann hier einer der größten Triumphe, als Mercedes und Williams, an dem Team hielten Sie damals noch Anteile, die ersten vier Plätze belegten. Zuletzt tat sich Mercedes aber ausgerechnet in Österreich meistens schwer. Was ist das Problem?
Da gibt es einige Punkte – beginnend mit dem Radstand. Wir haben den längsten Radstand aller Autos und da ist es an einigen Stellen hier gar nicht leicht, ums Eck zu kommen. Auch die Höhenlage kommt uns nicht entgegen. Wir versuchen uns aber so gut wie möglich darauf vorzubereiten.
Die Situation heuer ist sehr ungewöhnlich: Alle Teams leben quasi in Blasen, die streng voneinander getrennt sind.
Ja, unser Team hat wie jedes ein eigenes Hotel, in dem nur wir sind. Die Teammitglieder fahren mit dem Bus hin und her und bleiben immer in diesem, ihrem Korridor.
Sie auch?
Nein, ich und auch die Fahrer schlafen direkt im Areal der Rennstrecke in Motorhomes.
Wir haben zuletzt bei einem Tennis-Turnier in Serbien gesehen, wie undiszipliniert Sportler agiert haben. Müssen sich die Anrainer Sorgen machen?
Die ganze Formel 1 ist sich ihrer Verantwortung bewusst und ich bin überzeugt, dass die Regeln hier sehr ernst genommen werden.
Sie sind seit Jahren fast nur unterwegs gewesen. Wie sehr hat Sie nun dieser ungeplante Boxenstopp durch Corona verändert?
Vor allem ist mir klar geworden, wie sehr wir in Österreich auf einer Insel der Seligen leben. Ich war vergangene Woche in England, da steht immer noch fast alles still. Wir haben ein Gesundheitssystem, das funktioniert. Und ich denke, auch eine Bundesregierung, die konsequent die richtigen Schritte gesetzt hat – da zudem rechtzeitig. Bis jetzt scheint vieles gut gelöst worden zu sein. In sehr vielen anderen Ländern schaut es sehr viel schlechter aus.
Ihre Autos werden an diesem Wochenende für Aufsehen sorgen – aus Solidarität mit der „Black Lives Matter“-Bewegung werden die Silberpfeile, die seit den 1930er-Jahren auch in diesen Farbtönen fahren, zu schwarzen Rennautos – und das für die gesamte Saison.
Lewis Hamilton hat mich vor Wochen angerufen und vorgeschlagen, wir sollten ein starkes Zeichen setzen. Es sei einfach nicht genug, wenn er zweimal einen Instragram-Post veröffentlicht und danach die ganze Sache wieder einschläft. Uns war rasch klar, dass wir aber auch mehr machen wollten als nur puren Aktionismus. Das schwarze Auto soll nur ein äußeres Zeichen sein, und darin werden wir von unserem Vorstandsvorsitzenden Ola Källenius und von unseren Sponsoren unterstützt.
Und das andere Zeichen?
Wir wollen Substanzielles liefern. Unser Ziel: die Diversität zu erhöhen. Wir wollen mit Universitäten kooperieren. Nur drei Prozent unserer Belegschaft gehören einer ethnischen Minderheit an, nur zwölf Prozent sind Frauen. Dieser Mangel an Vielfalt zeigt, dass wir neue Ansätze benötigen. Es gibt viel Talent, dem die Tür zur Formel 1 bisher verschlossen blieb. Das wollen wir ändern.
Im Gegensatz zu Leuten wie Bernie Ecclestone gehen Sie sehr sensibel und ernsthaft mit dem Thema um. Wohl auch, weil Ihr wichtigster Angestellter der erste dunkelhäutige Formel-1-Pilot ist und ihre Ehefrau Susie Wolff die einzige Frau war, die in diesem Jahrhundert bislang ein Formel-1-Training bestritten hat?
Bei ihr erlebe ich diese mangelnde Diversität Tag für Tag. Jedes Interview beginnt damit, wie sie Kind und Beruf unter einem Hut bringt – mich fragt das keiner. Es geht also auch um eine subtile Art der Diskriminierung.
Hamilton ist längst so etwas wie ein Botschafter von „Black lives Matter“. War Ihnen bewusst, wie sehr ihn das Thema beschäftigt?
Lange Zeit nicht. Bis er mich vor einigen Jahren direkt gefragt hat: „Wie oft hast du schon über deine Hautfarbe nachgedacht?“ Ich hatte es bis dahin noch nie. Es folgten zahlreiche intensive Gespräche, die mich sensibilisiert haben. Auch für die Art, wie sein Alltag seit frühester Kindheit aussieht. Dieser Mangel an Diversität und die Diskriminierung beginnen ja schon im Kart-Fahrerlager. Daher gilt: Die richtigen Überzeugungen sind nicht genug, wenn wir stumm bleiben!
Wie wird die Formel 1 wirtschaftlich gesehen in Zukunft aussehen?
Wie viele andere Industrien ist sie nicht vor so einer globalen Krise wie der jetzigen gefeit. Alle haben derzeit große Umsatzeinbrüche. Bei vielen kleineren Teams geht es ums Überleben. Da müssen wir alle zusammenhalten. Aber vor Covid-19 wie nach Covid-19 – sofern es ein „nach“ gibt – ist die Formel 1 die stärkste Motorsport-Plattform der Welt und daher für Automobilhersteller interessant. Denn wir verkaufen ja weiter starke Autos. Serien wie die Formel E haben für sich ihre Bedeutung und Wichtigkeit, aber auch diese ist nach wie vor weit von jener der Formel 1 entfernt.
Wie es scheint, wird die Formel 1 in Österreich künftig zumindest zu 50 Prozent von Servus TV übertragen. Einem Sender, der im Eigentum eines ihrer größten Konkurrenten in der Meisterschaft steht. Erfüllt sie das mit Unbehagen?
Nein. Wir gehen davon aus, dass sie das gut trennen können und eine objektive Berichterstattung jedenfalls gewährleistet ist. Wichtig ist, dass – wie bislang schon im ORF – die Formel 1 gute Quoten hat und sich viele Menschen für unseren Sport begeistern.
Gerald Enzinger