In tiefer Sorge um die Formel 1 und seine gesamte Vollgas-Welt ruft der Chef des Internationalen Automobilverbandes (FIA) zur Radikalkur auf. "Was wir brauchen, ist ein komplettes Umdenken im Motorsport. Wir könnten von einem 'New Deal' reden, wie ihn Amerika nach der  Weltwirtschaftskrise hatte", lässt sich FIA-Präsident Jean Todt im  jüngsten Verbandsmagazin zitieren. Der frühere Ferrari-Teamchef weiß, dass der Corona-Stillstand auch die Zukunft seines Premium-Produktes Formel 1 gefährdet. Zugleich aber könnte die Krise auch die Chance für überfällige Reformen in der Rennserie sein.

Dies sei ein "schmerzhafter" Prozess, sagt Formel-1-Sportchef Ross Brawn. "Aber ich denke, wir werden stärker daraus hervorgehen,
wenn wir da durchkommen", fügte der 65-jährige Engländer mit dem Spitznamen "Superhirn" hinzu. Kostengünstiger soll die Formel 1 werden, gerechter und effizienter. Näher am Fan, spannender und angeblich sogar klimafreundlicher. All das wollte Rechte-Inhaber Liberty Media schon vor der Covid-19-Pandemie durchsetzen, nun aber ist der Zwang zu schnellen Veränderungen ungleich größer.

Start in Österreich

Neben einem Not-Kalender mit einem Saisonstart am 5. Juli in Österreich und einer Serie von Geisterrennen diskutieren die Macher der Formel 1 seit Wochen vor allem über die künftige Ausgabengrenze. Die einst für 2021 beschlossenen 160 Millionen Euro pro Team und Jahr sind längst überholt, der Sparzwang ist übermächtig. 133 Millionen Euro sollen es nun im nächsten Jahr sein, verkündet Unterhändler Brawn. "Und die Frage ist, wie weit wir das in den nächsten Jahren noch drücken können", ergänzte der Brite.

Ferrari blockiert

Vor allem Ferrari wehrt sich gegen eine noch weitere Reduzierung des Limits, weil das Traditionsteam sonst wohl viele Mitarbeiter entlassen müsste - und sich vor einem Aufholen der kleineren Rennställe fürchtet. Doch im Kampf Groß gegen Klein haben diesmal die Underdogs die stärkeren Argumente und die Regelmacher auf ihrer Seite. "Als eine Familie sollten wir in der Formel 1 nach allen Beteiligten schauen", meinte sogar Ferrari-Star Sebastian Vettel.

"Die wirtschaftliche Nachhaltigkeit ist in der jetzigen Situation die Priorität, und das gilt für die großen Teams genauso wie für die kleinen", betonte Formel-1-Sportchef Brawn. Für mehr finanzielle Chancengleichheit soll auch das Preisgeld künftig anders verteilt werden. Die Mittelfeld-Teams erhalten dann mehr aus diesem Topf als bisher. Weniger Ausgaben, höhere Einnahmen - mit diesem Rezept soll die Konkurrenz demnächst bessere Chancen gegen die Platzhirsche Mercedes, Ferrari und Red Bull haben.

Neuzugänge

Zugleich hoffen Weltverband und Eigentümer mit einem neuen Geschäftsmodell auch auf Neuzugänge. Die Formel 1 sei offen für zwei neue Rennställe, wenn sich Investoren finden würden, berichtet das Fachmagazin "Auto, Motor und Sport". Durch den erforderlichen Personalabbau bei aktuellen Teams wären Fachkräfte verfügbar. Der Einstieg sei durch das Budgetlimit günstiger möglich als bisher.

Allerdings ist keineswegs sicher, dass alle aktuellen Teams trotz
der Millionen-Vorschüsse vom Rechteinhaber nach der Krise noch dabei sind. Privaten Rennställen droht bei einer langen Zwangspause die
Pleite. Hersteller wie Mercedes oder Renault könnten wegen der Notlage in der Autoindustrie ihr Engagement überdenken. "Ich hoffe,
die Teambesitzer und Sponsoren behalten ihre Motivation. Wir müssen
sie in ihrem Gefühl bestärken, dass sie es weiter wollen und
brauchen", mahnte FIA-Chef Todt.

Neue Regeln

Der langjährige Chefvermarkter Bernie Ecclestone rät seinen Nachfolgern zu noch drastischeren Schritten. "Jemand sollte das Regelbuch zerreißen - und ganz neue Regeln schreiben", sagte der 89-Jährige in einem "Autocar"-Interview. Weg mit über komplizierter Technik und Hybridmotoren, zurück zu dröhnenden Verbrennern und größeren Freiheiten für wilde Fahrer - das ist Ecclestones Vision. "Wir müssen sicherstellen, dass die Formel 1 ein Entertainment-Paket bleibt."

Aktuelle Maßnahmen

"Die FIA leistet großartige Arbeit beim Aufbau der Struktur, die wir brauchen. Jeder wird getestet und erhält eine Freigabe, bevor er ins Fahrerlager gehen kann", bestätigt Brawn die Pläne und ergänzt: "Dann werden sie alle zwei Tage im Fahrerlager getestet. Das wird von einer autorisierten Behörde durchgeführt."

Dieses System soll für alle europäischen Rennen greifen. Zudem werden alle die gleichen Einrichtungen nutzen, um die Tests durchführen zu lassen. "Wir können sicherstellen, dass jeder in dieser Umgebung getestet wird, und das regelmäßig", versichert der 65-Jährige. Ziel sei es, eine Art Isolationsblase zu schaffen. Dazu zählt die strikte Trennung der Teams, die innerhalb ihrer eigenen Gruppe bleiben sollen. "Sie werden sich nicht mit anderen Teams vermischen. Sie werden in ihren eigenen Hotels übernachten. Es wird keine Wohnmobile geben", so der Sportchef.