Schließlich war dieser Ayrton Senna mit seiner extremen Mischung aus Verletzlichkeit und Härte einfach anders als so viele andere Spitzensportler. Seine manchmal philosophischen Gedanken zu vielen Dingen auf der Welt, nicht nur zur Formel 1, sondern auch zu Religion und Glauben, seine starken Emotionen, die er nie verbarg, sein Charisma, sein Lächeln, das verzaubern konnte und manchmal auch seine Tränen – das prägte. "In persönlichen, menschlichen Dingen war Ayrton sehr mitfühlend, sehr weich, er hatte da nie diese Härte, die vielen anderen Männern zu eigen ist", sagt Ron Dennis, der sechs Jahre lang bei McLaren sein Teamchef war.
Was hätte er daraus gemacht? Nach seiner Karriere, nach vielleicht noch zwei WM-Titeln bei Williams, 1994 und 1995, nach zwei oder drei weiteren Jahren bei Ferrari zum Abschluss – ein Wechsel, über den er ja, wie so viele fasziniert vom Mythos Ferrari, durchaus schon mal nachdachte.
Diese Menschlichkeit, auch sein Wille, seine besondere Position zu nutzen, um Dinge zum Besseren zu verändern, hatte sich ja schon lange gezeigt, vor allem in seiner Heimat Brasilien. Für die Brasilianer war der dreimalige Formel-1-Weltmeister auch immer mehr als nur ein reines Sportidol, sondern vor allem auch eine Hoffnung. Sicher, er gab ihnen viel Freude, viel Stolz auch auf ihr Land... Aber da war mehr: Dass er sich dabei als Angehöriger der privilegierten Oberschicht, der absoluten Elite, trotzdem ernsthafte Gedanken um die sozialen Gegensätze in seinem Land machte, und auch sehr viel tat und plante, um daran etwas zu verändern, war und ist dort bis heute eine absolute Ausnahme. „Die Reichen können nicht weiter wie auf einer Insel in einem Meer der Armut leben“, kritisierte er einmal.
Ein Herz für Kinder
Sein Wunsch, den bedürftigen Kindern und Jugendlichen seiner Heimat zu helfen, wird heute weiterhin erfüllt. Durch die Stiftung, deren Grundlagen er noch selbst legte, die seinen Namen trägt und die von seiner Schwester Viviane, einer Kinderpsychologin, geführt wird, werden inzwischen insgesamt über vier Millionen von ihnen in den verschiedensten Projekten in 24 brasilianischen Bundesstaaten gefördert und unterstützt. Außerdem arbeitet die Stiftung aber auch im wissenschaftlichen Bereich, in der Ausbildung von Fachkräften, um von Anfang an bessere Grundlagen für die Benachteiligten der Gesellschaft zu schaffen.
Aber vielleicht wäre ja noch mehr daraus geworden: Auch wenn er es zu Lebzeiten immer abgelehnt hatte, in die Politik zu gehen, schon allein abgeschreckt durch die Formel-1-Politik, die Dauerkonflikte mit seinem ewigen Rivalen Alain Prost und dem damaligen FIA-Präsidenten Jean-Marie Balestre – ganz genau beobachtet hätte er die politische Entwicklung in Brasilien sicherlich.
Und wenn ihn dann jemand aufgefordert hätte, sich einzumischen, um Schlimmeres zu verhindern, dann hätte er das möglicherweise irgendwann doch auch getan. Sein Kumpel Gerhard Berger ist jedenfalls überzeugt: „Ayrton wäre heute wohl Präsident von Brasilien...“
Was ihm sicherlich nicht gefallen hätte, was er wahrscheinlich sogar verhindert hätte: Dass sich seine Schwester Viviane 2018 im brasilianischen Wahlkampf doch sehr stark in die Nähe des rechtsextremen Jair Bolsonaro begab. Aber mit einem Präsidentschaftskandidaten namens Senna hätte es wahrscheinlich den ganzen Bolsonaro-Aufstieg überhaupt nicht gegeben...
Karin Sturm